Liebesschloesser
Mein Herz fängt an zu stolpern. Ich schlucke hart, überlege, ob ich ihn fragen soll. Es wäre doch eine gute Gelegenheit, möglicherweise die beste, die ich jemals bekommen werde. Es ist die Chance, das Chaos in meinem Kopf und in meinem Herzen zu beseitigen, mich davon zu befreien, falls es eben doch nicht mehr als ein Gerücht war.
„Stimmen die Gerüchte, die man so über dich gehört hat?“, frage ich mit zittriger Stimme. Mein Herz schlägt so heftig, dass es bestimmt gleich aus der Brust springen wird.
Zuerst sieht mich Andy erstaunt an, dann schüttelt er den Kopf und grinst schief.
„Was hat man denn Spannendes über mich erzählt?“
Ich hätte mir gleich denken können, dass er es mir nicht so leicht machen würde. Trotzdem ist mir seine verspannte Haltung nicht entgangen. Ich hole tief Luft, denn ich werde mich jetzt nicht beirren lassen. Ich will es wissen, egal, was er sagt … oder ob er im schlimmsten Fall aufsteht und nie wieder ein Wort mit mir redet.
„Na ja, Tante Helga erzählte meiner Mutter, dass du … also … ich … sie sagte, sie hätte es von deinen Eltern …“ Ich stottere, mein Kopf ist wie leer gefegt und obendrein werde ich noch knallrot.
„Die gute Tante Helga. Sie war schon immer besser informiert, als jede Tageszeitung. Aber falls du darauf anspielst, dass ich eine Zeit lang mit einem Mann zusammengelebt habe, dann hat sie Recht!“ Er klingt nervös und weicht meinem Blick aus. Ich starre ihn erstaunt an, kann nicht glauben, dass er das wirklich gesagt hat. Kann nicht begreifen, was es bedeutet.
„Du bist schwul?“, frage ich blöd, weil ich es nicht begreifen kann. Bestimmt fängt er an zu lachen, sagt, dass er in einer WG gewohnt hat … Genau, das wäre eine gute Erklärung.
„Nein, ich bin bi ... Bevor ich Thorsten kennen lernte, war ich eigentlich nur mit Frauen zusammen.“ Anscheinend hat dieser Thorsten ihm viel bedeutet, denn er sieht traurig und enttäuscht aus. Wer auch immer dieser Kerl ist, ich kann ihn nicht leiden. Er hat diese Seite aus Andy hervorgelockt … Wieso konnte ich das denn nicht?
„Wirklich bi?“
Ich schätze, mir entgleisen gerade sämtliche Gesichtszüge.
„Und … also, damals an der Schule. Warst du da auch schon … also hast du da auch schon gemerkt, dass dich Jungs interessieren?“
Will ich die Antwort darauf überhaupt hören? Schließlich würde es doch bedeuten, dass er an mir kein Interesse gehabt hat.
„Keine Ahnung!“, sagt er leise. „Ich habe nicht darüber nachgedacht, wollte es vielleicht auch nicht. Aber während des Studiums … es bot sich eine Gelegenheit und ich habe sie genutzt!“
„Es bot sich eine Gelegenheit? Was soll das denn heißen? Ich meine, du warst der größte Mädchenschwarm aller Zeiten. Du konntest jede haben und du hattest sie wahrscheinlich auch alle!“ Meine Stimme überschlägt sich, klingt zornig, vielleicht sogar eifersüchtig. Dieses Geständnis erschüttert und überfordert mich gleichermaßen. All die schlaflosen Nächte, die ich wegen ihm hatte. All der Schmerz, weil ich so unglücklich verliebt war und es nicht sein wollte. Dann ist er einfach nach Berlin abgehauen. Wie gern hätte ich nur ein einziges Mal seine Lippen geküsst und seine Haut berührt.
„Ich kann dir nicht genau erklären, was passiert ist …“, flüstert er und schließt die Augen.
Es ist so ungerecht. Am liebsten würde ich meine Sachen zusammenpacken und gehen, aber ich kann mich nicht bewegen, will seine Nähe nicht verlassen.
„Hm … Aber dafür hast du ja nun die freie Auswahl. Immerhin bist du an beiden Geschlechtern interessiert, da erhöht sich die Chance ja gewaltig!“, bemerke ich sarkastisch.
„Meinst du?“, presst er zwischen den Zähnen hervor.
Ich nicke, fühle mich immer noch wütend. Aber worauf eigentlich?
„Na klar. Du hast die freie Auswahl … einmal abgesehen von den heterosexuellen Männern, aber manche sollen sich ja auch überzeugen lassen.“ Ich rede Unsinn, kriege die Ironie nicht aus meiner Stimme.
„Vielleicht. Aber es macht die Sache auch nicht einfacher, den oder die richtige zu finden.“
„Und du hast wirklich mit einem Mann zusammengelebt?“
„Ich war mit Thorsten fast ein Jahr zusammen.“
„Was ist passiert? Hast du dich in eine Frau verliebt?“ Ich lache widerlich auf. Dieses ganze Gespräch ist verrückt.
„Nein, er hatte es nicht so mit der Treue. Er wollte sich nicht einengen lassen, aber die Vorstellung, dass er es noch mit anderen
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