Liebesschmarrn und Erdbeerblues - Wie alles begann
vor, als wäre er ein Kind von Traurigkeit. Und auch Claudia hatte mich nochmal eindringlich darauf hingewiesen, dass Michael Sommer allgemein der Ruf eines Weiberhelden anhaftete. Und ich traute mich auch immer noch nicht, ihn zu fragen, ob er Single war. Auf jeden Fall war er sehr zuvorkommend, und wir verstanden uns prächtig.
Michi bestand darauf, mich in einem Taxi nach Hause zu begleiten, obwohl es für ihn ein totaler Umweg war. Es war weit nach Mitternacht als wir in meinem Zuhause am Rande einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Passau ankamen. Dort lebte ich zusammen mit meinem Vater Bertl auf unserem Biobauernhof.
Seit dem Unfalltod meiner Mutter vor etwas mehr als vierundzwanzig Jahren waren mein Vater und ich ein eingespieltes Team.
Als Michi eben ansetzte, sich von mir zu verabschieden, ging die Hoflampe an, und mein Vater kam mit einer Thermoskanne in der Hand aus dem Haus. Er blieb neugierig stehen und wartete, bis ich aus dem Auto stieg.
»Ist das dein Vater?«, fragte Michi.
»Ja. Bestimmt ist er wegen Elisabeth noch wach.«
»Deine Mutter?«
»Nein.« Ich lachte. »Elisabeth ist eine Kuh. Sie wird bald kalben.«
Vater benannte alle unsere Kühe nach bekannten Frauen aus der Weltgeschichte. Dabei machte er keinen Unterschied, ob diese Frauen einen guten Ruf hatten oder nicht. Neben Elisabeth standen noch Lola, Hatschepsut, Lucrezia und – ganz aktuell – Angela im Stall.
Michi ließ es sich nicht nehmen, mit mir auszusteigen, um sich meinem Vater vorzustellen. Letzterer wirkte etwas erschöpft. Kein Wunder. Sein Arbeitstag begann einige Stunden früher als der von Schreibtischtätern wie mir und Michi. Obwohl ich natürlich gerade zur Erntezeit auch oft früh aufstand, um zu helfen.
»Soll ich dich im Stall ablösen?«, fragte ich fürsorglich.
»Geh lieber schlafen, Lene«, lehnte Vater mein Angebot halbherzig ab.
»Ich bin gar nicht müde. Du kannst dich gerne eine Weile hinlegen, Papa.« Morgen war ja Samstag, und ich musste nicht aufstehen.
»Wie wär’s, wenn ich dir im Stall Gesellschaft leiste?«, bot Michi an.
Bei dem Gedanken daran, mit Michi im Heu auf die Geburt des Kälbchens zu warten, prickelte es verdächtig in meinem Bauch. Vaters Blicke sagten mir, dass er nicht so ganz wusste, was er davon halten sollte. Doch schließlich war er einverstanden, weil wir versprachen, ihn zu wecken, wenn es mit der Geburt losging.
Während Michi das Taxi bezahlte, zog ich mir eine bequeme Jeans und einen Pulli an und holte zwei große Decken und Getränke. Im Stall breitete ich eine Decke auf einem Strohhaufen aus. Die andere Decke lag bereit, falls es uns zu kalt werden würde.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit Michi schon bei unserer ersten Verabredung eine gemeinsame Nacht verbringen würde. Wenn auch ganz anders, als man sich die erste Nacht mit einem Mann üblicherweise vorstellte.
Hinter uns an der Wand sorgte eine kleine Lampe für etwas Licht, aber der größte Teil des Stalles lag in Dunkelheit.
Wir unterhielten uns leise über unseren Hof, und er erzählte, dass er als Kind seine Ferien oft bei Verwandten auf einem Bauernhof in Österreich verbracht hatte.
»Meine Tante war am Ende der Ferien immer fix und fertig mit den Nerven«, meinte er schmunzelnd.
»Warum das denn?«
»Ich habe es jedes Mal geschafft, dass mir etwas passierte. Einmal brach ich mir den Arm, als ich einen Hang hinunterlief und auf einem Kuhfladen ausrutschte. Ein anderes Mal brach ich beim Schlittschuhlaufen in einem Weiher ein und holte mir eine ordentliche Lungenentzündung.«
»Ach herrje, du Armer!« Er schien ja als Kind ein richtiger Pechvogel gewesen zu sein.
»Und als ich im Jahr darauf versuchte, auf einer Kuh zu reiten und dabei fast zu Tode getrampelt wurde, weigerte Tante Marianne sich entschieden, mich noch einmal in den Ferien aufzunehmen.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte ich und spürte ein gewisses Mitgefühl mit dieser Frau.
Elisabeth war in einer großen Einzel-Box untergebracht, die mit viel Stroh ausgelegt war. Sie war verständlicherweise unruhig. Immer wieder legte sie sich hin und stand gleich wieder auf.
»Sie hat Schmerzen«, sagte Michi.
Er ging zu Elisabeth und streichelte sanft über ihren Rücken.
»Alles wird gut«, machte er ihr Mut. Es berührte mich, wie er beruhigend auf sie einredete und ihr den Rücken massierte, was ihr scheinbar guttat, denn sie wurde ruhiger.
»Warst du schon mal der Geburt eines Kalbs dabei?«, fragte ich ihn
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