Liebling, Ich Kann Auch Anders
noch hinsichtlich seines Sexualverhaltens gemäß den väterlichen Wünschen geriet, einmal im Affekt als abartigen Blindgänger bezeichnet. Und sowohl Psychologie als auch Soziologie zählte für den Alten zu den Schwafelwissenschaften.
»Nein, das Thema für seine Diss steht ja schon länger. Aber Leonardo ist eben absolut entsetzt über das Verhalten seiner Internetpartner und überzeugt, dass andere Menschen ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie er. Doch im Detail werden uns darüber die Auswertungen der Studenten-Arbeiten aufklären.«
»Uns?«, fragte ich alarmiert.
»Na ja, ich habe ihm versprochen, darüber nachzudenken, ob ich mich nicht auch in das Projekt einbringen will.«
»Hast du denn Erfahrung damit?«
»Noch nicht. Aber ich schaue mir auf jeden Fall die Studie an. Leonardo meint ja, die Möglichkeit, die Sache anonym anzugehen, sei eins der großen Probleme. Anonymität fördert die niederen Triebe. Da entfällt die soziale Kontrolle, die sonst für ein Minimum an Respekt und Anstand sorgt. Angesichts des nie versiegenden Stroms neuer Möglichkeiten verhalten viele Surfer sich völlig skrupellos. Keiner sieht’s mehr ein, dass er um einer Beziehung willen an sich selbst arbeiten und sich um den anderen bemühen muss. Wenn nicht von Anfang an alles den jeweiligen Ansprüchen genügt, wird ganz einfach ein neuer Fisch aus dem Netz geholt. Der alte wird zurückgeworfen oder bleibt einfach liegen, bis er auf dem Trockenen erstickt. Für Rücksicht oder Aussprache oder gar Aufarbeitung werden weder Zeit noch Energie investiert. Ex und hopp im Schweinsgalopp, wie Leonardo sagt.«
»Das ist zwar bescheuert, aber wie will er das ändern? Und worin besteht dein Part bei der Geschichte?«
»Bewusst machen, aufklären, aufrütteln, Maßstäbe setzen. Das sind Leonardos Intentionen. Und ich soll bei der schriftlichen Umsetzung helfen und das Projekt unter die Leute bringen. Leonardo stellt sich vor, dass ich die Ergebnisse der Seminarstudie zu Infos für die Presse-Agenturen und in verschiedenen Essays für Magazine verarbeite. Er träumt davon, in Talkshows aufzutreten und ein breites Forum für seine Mission zu finden.«
»Unmöglich ist das sicher nicht. Schon gar nicht mit dir als Frontfrau.«
»Na ja, ich warte erstmal ab, was bei den Arbeiten der Studis rauskommt«, sagte Eva. Und dann fixierte sie mit Hypnoseblick meine Pupillen. »Leonardo möchte übrigens, dass ich für die Zeit unserer gemeinsamen Arbeit nach Konstanz komme. Seine neue Wohnung ist nämlich sehr groß und ziemlich leer. Und jemanden ganz Fremden mit reinzunehmen, ist ihm zu riskant – nach den Erfahrungen mit Uwe.«
»Wie bitte? Na, das würde ich mir aber noch mal sehr gründlich überlegen!«, schrie ich fast, denn der Gedanke ging mir ganz gewaltig gegen den Strich.
»Dann kannst du in meine Wohnung ziehen. Und deine vermieten wir über die Mitwohnzentrale, und die Kohle teilen wir uns«, säuselte sie lächelnd, weil sie mich durchschaute und meinen Kummer mit einem Bonbon versüßen wollte.
Es gibt Leute, die gewinnen Preisausschreiben oder ziehen bei der Tombola stets die guten Gewinne. Andere bekommen von fast allem Pickel. Sibylle ist die Frau, der Männer Schmuck und Designertaschen schenken. Ich mache gelegentlich Geld mit meinem alten Auto, weil irgendwelche PS-Rambos in Nobelschlitten mir Dellen reinfahren und mich mit großzügigen Entschädigungszahlungen davon abhalten wollen, die Polizei zu rufen. Vermutlich, weil sie den Promille- oder Koks-Test fürchten, was in München ja gelegentlich passiert. Ich habe aber noch nie jemanden getroffen, der so eine glückliche Hand mit Wohnungen hat wie Eva.
Unser Haus in Schwabing wurde in den Fünfzigern erbaut, und während der Siebziger modernisiert. Ende der Neunziger bezog Eva mit mir die Mansardenwohnung, in der ich heute allein wohne – dank Eva zu unverändertem Mietpreis. Sie hatte die Hausbesitzerin, eine reizende alte Dame, in einem Café kennengelernt. Frau Wiggenhauser, eine damals etwa siebzigjährige Witwe, besaß mehrere Häuser und zwei Söhne, die beruflich sehr erfolgreich und so beschäftigt waren, dass sie kaum Zeit fanden, sich um ihre Mutter zu kümmern. Da die alte Dame es jedoch für wichtig hielt, Kontakte zu nachfolgenden Generationen zu pflegen, sah sie in Eva eine Person, der sie einiges zutraute. Sie plauderten ein paar Stunden, und anschließend konnte Eva ihr recht schönes, aber viel zu kleines Zimmer und ich mein teures
Weitere Kostenlose Bücher