Liebling, Ich Kann Auch Anders
Obwohl sie in Stilfragen sehr pingelig war, legte Sibylle bei der Jagd nach dem, was sie begehrte, keinerlei Wert auf Political Correctness. »Das ist was für Jasager, Denkfaule, Scheinheilige und Lemminge. Ich nehme mir die Freiheit, zu entscheiden, was ich selbst für richtig halte.«
Dazu hier ein Beispiel: Tatort-Flughafen …
Sibylle hält es für angebracht, aus einer Schlange wartender Taxen den Fahrer auszuwählen, der ihr am besten gefällt.
»Was soll ich einem stinkenden Tölpel mein Vertrauen schenken, wenn ich mir ein Gespräch mit einem interessanten und hübschen Studenten einhandeln kann?«
Mit der größten Selbstverständlichkeit klappert sie am Flughafen die Autos eins nach dem anderen ab, ignoriert mit gelassener Miene die Kommentare der herumstehenden Chauffeure. Schließlich sieht sie einen, der ihr gefällt und signalisiert ihm, dass sie mit ihm fahren will. Das Murren der anderen Fahrer, die sie mehr oder minder höflich und deutlich darauf hinweisen, dass sie gefälligst den ersten Wagen zu besteigen habe, tut sie mit einer Handbewegung ab und ruft den Empörten zu: »Ich bitte Sie, er ist mein Cousin und wir haben eine dringende Familienangelegenheit zu besprechen!«
Ehe der Auserwählte zu irgendeiner Reaktion fähig ist – schließlich bringt sie ihn seinen Kollegen gegenüber in eine verzwickte Lage –, wirft sie ihren noblen Handkoffer auf den Rücksitz, setzt sich ausnahmsweise neben den Fahrer und gibt ihm, da er ein ganz besonders Hübscher ist, ein Küsschen auf jede Wange.
Einige der Taxifahrer fühlen sich verkohlt und wollen Sibylle und ihrem Favoriten eins auswischen. Sie klemmen den Wagen so ein, dass er nicht rausfahren kann. Sibylle steigt wieder aus. Für einen Moment denken die Widersacher, sie hätten gesiegt. Doch dann herrscht sie sie mit ihrer autoritärsten Stimme an: »Gentlemen, was soll das? Unser beider Großvater liegt im Sterben! Ich komme extra aus Paris angeflogen, um ihn noch einmal zu sehen!«
Könnte ja was Wahres dran sein. Der Vordermann gibt nach und fährt ein Stück vor. Sibylle gönnt ihm die Andeutung eines huldvollen Lächelns und setzt sich wieder neben ihren angeblichen Cousin.
Der Typ – Sibylle hat einen Blick für Männer mit Grips und Humor – beherrscht sich, bis die Kollegen sein Gesicht nicht mehr sehen können, und dann lacht er laut los.
»Was wollen Sie, die Fahrt vom Flughafen in die Stadt ist ganz schön weit«, erläutert sie, »und ich bin eine wehrlose Frau.«
Der Fahrer lacht aufs Neue los.
»Ich kann doch nicht jedem wildfremden Mann mein Vertrauen schenken. Und blödes Geschwätz mag ich mir auch nicht zumuten. Das verdirbt meine Laune.«
»Soll ich ruhig sein?«
»Aber nein, Sie doch nicht! Sie habe ich ausgewählt, weil ich mir von Ihnen interessante Konversation erhoffe. Erzählen Sie, was Sie treiben, wenn Sie nicht Taxi fahren?«
Er studiert Volkswirtschaft, möchte aber neuerdings das Studium selbst finanzieren, um seinem Vater zu beweisen, dass er nicht auf dessen Unterstützung angewiesen ist.
»Sehr gut«, sagt Sibylle, »sehr intelligente Entscheidung.«
Der junge Mann bringt sie zu ihrem Hotel. Um sieben Uhr abends hat sie einen Termin mit einem Klienten. Der wird mit ihr zu Abend essen, aber um neun wird sie sich von ihm verabschieden.
»Wie lange arbeiten Sie heute?«, fragt sie den Studenten.
»So etwa bis neun, halb zehn …«
»Wenn Sie wollen, können wir uns um halb elf in der Hotelbar treffen.«
Er strahlt. »Gern, ich werde pünktlich da sein.«
Sibylle lächelt. Sie gibt ihm ein verwirrend hohes Trinkgeld.
»Damit Sie mich einladen können – heute Abend in der Bar. Ich lege Wert auf Etikette.«
Sie bezieht ihr Zimmer, legt sich in die Wanne und bereitet sich mental auf ihren Kunden vor, den sie bereits kennengelernt hat und der ihrer Einschätzung nach gern mehr als nur Beratung von ihr bekäme. Er ist durchaus sympathisch und sieht auch recht gut aus. Er wird blendend aussehen, wenn sie ihre Arbeit an ihm vollendet hat. Aber sie fängt nie etwas mit Klienten an, während ihre Mission läuft. Später vielleicht. Darüber lässt sich reden. Doch Geschäftliches und Privates weiß Sibylle wohl zu trennen. Nicht zuletzt, weil dann Klarheit bei der Abrechnung herrscht.
Es besteht keine Gefahr, dass sie ihren Vorsätzen untreu wird und etwa in Versuchung gerät. Dagegen gibt es schließlich Mittel und Wege. Und charmante Studenten …
Die bleiben allerdings für Frauen,
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