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Lieblingsmomente: Roman

Lieblingsmomente: Roman

Titel: Lieblingsmomente: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Popescu
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Haltung zu bewahren, was ihm nicht wirklich gelingt, und ich erspähe ein Stück weiße Boxershorts, auf die ich aber nicht achte … auf die ich nicht zu achten versuche.
    »Ist alles okay?«
    Ich bleibe neben ihm stehen. Er sieht mich überrascht aus einem Auge an, hat mich aber wohl nicht verstanden, denn ich erkenne nur einen fragenden Gesichtsausdruck.
    Langsam greife ich nach seiner Hand, an seinen Fingern klebt etwas Blut. Er sieht mich verwundert an, lässt es aber geschehen.
    Dort, an der Theke, zwischen dem Lärm, dem Schweiß und der Musik, berühre ich ihn zum ersten Mal in meinem Leben. Seine Haut fühlt sich warm und rau an, aber nicht unangenehm rau, ganz im Gegenteil. Für gewöhnlich ist das kein besonders einschneidender Moment, aber diesmal ist es anders. Vollkommen anders. Diesmal ist es, als würden plötzlich viele kleine Käfer mit schnell schlagenden Flügeln in meinem Kopf losflattern.
    Ich versuche, das Flattern zu überhören und sehe mir das Ausmaß des Zusammenpralls an: eine kleine Platzwunde über dem linken Auge, Blut läuft an seiner Schläfe herunter.
    »Das solltest du behandeln lassen!«
    Ich schreie es ihm über die Musik hinweg ins Gesicht. Er wirkt nicht betrunken, dafür sind seine Augen zu klar. Ein kräftiges Grün strahlt mich etwas verwirrt an. Er nickt, aber ich glaube nicht, dass er mich verstanden hat. Also versuche ich es erneut, stelle mich ein wenig auf die Zehenspitzen und lehne mich näher zu ihm. Dabei streift meine Wange sein Gesicht, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Er riecht gut, nach Sommer und etwas anderem … Aufregendem.
    »Das sieht übel aus. Das solltest du behandeln lassen.«
    Er nickt noch einmal. Diesmal hat er mich verstanden.
    »Mache ich. Danke.«
    Seine Stimme ist tief und warm. Und sie klingt überraschend gefasst, wenn man bedenkt, was ihm gerade passiert ist. Ich gehe wieder leicht auf Abstand und sehe, dass ein amüsiertes Lächeln auf seinen Lippen liegt. Auf seinen schönen Lippen. In meinem Kopf versucht eine Frage gegen das Flügelschlagen der Käfer anzukommen: Was mache ich hier?
    Wahrscheinlich fragt er sich gerade dasselbe.
    Ich lasse seine Hand wieder los, drehe mich schnell zur Theke und bestelle mir ein Wasser, damit es so aussieht, als wäre ich ganz zufällig hier, um mir etwas gegen den Durst zu beschaffen. Wenn ich arbeite, so wie heute, trinke ich keinen Alkohol. Meine Fotos sind dann einfach besser.
    Er versucht unterdessen eher ungeschickt, sich mit dem Kragen seines leicht verschwitzten Shirts das Blut aus dem Gesicht zu wischen. So wird das nichts. Ich kenne solche Platzwunden – als Partyfotografin habe ich sie schon oft gesehen. Man muss sie behandeln, sonst bleibt eine hässliche Narbe. Zumindest desinfizieren sollte man sie, damit sie sich nicht sofort entzünden. Also bestelle ich noch zwei klare Schnäpse und ein frisches Taschentuch. Etwas verwundert über meine Bestellung betrachtet mich der Barkeeper einen Moment, bevor er mir den Wunsch erfüllt und ich einen zweiten Versuch starte.
    »Hier! Einer für den Kopf und einer gegen den Schmerz.«
    »Was?«
    Ich halte ihm eines der Schnapsgläser vors Gesicht, und wieder ernte ich nur ratlose Blicke. Ich würde mich ja gerne besser artikulieren, aber der dröhnende Bass eines Nico-Pusch-Tracks macht es mir etwas schwer.
    »Trink das! Gegen den Schmerz!«
    »Gegen welchen Schmerz?«
    Ich drücke ihm das eine Schnapsglas einfach in die Hand, und er sieht mir dabei zu, wie ich das Taschentuch in das andere Glas tauche. Dann schüttelt er leicht den Kopf, hebt abwehrend die freie Hand und will mir ausweichen.
    »Ich weiß, was ich tue! Vertraue mir!«
    Es ist gelogen. Ich hatte meinen letzten Erste-Hilfe-Kurs vor knapp sechs Jahren und müsste meine Kenntnisse über die stabile Seitenlage dringend mal wieder auffrischen, aber das spielt jetzt keine Rolle. Hochprozentiger Schnaps desinfiziert. Das habe ich im Nachtleben gelernt – und in einer Episode von Grey’s Anatomy , was ich ihm aber nicht sagen werde.
    Ich gebe ihm keine Zeit nachzudenken, tupfe mit dem Taschentuch einfach frech direkt über die Wunde und bekomme als Quittung ein verzerrtes Gesicht meines Patienten.
    »Autsch!«
    »Gegen den Schmerz!«
    Ich blicke auf den Schnaps in seiner Hand. Er versteht endlich, und schon ist das Glas leer.
    Ich tupfe etwas vorsichtiger weiter und weiß genau, dass es höllisch brennen muss. Er schließt die Augen und hält sich tapfer an der Theke fest. Ich muss mich

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