Lieblingsmomente: Roman
So etwas kann man nicht alleine. Dafür braucht man Flügel, und die wachsen nicht über Nacht, die werden einem geschenkt.
»Ich freue mich so auf ihn. Weißt du, ohne ihn wäre das alles hier nicht möglich gewesen. Das mag kitschig klingen, aber er hat mir den Mut gegeben, dass ich mir all das zutraue.«
»Ja, das klingt wirklich kitschig.«
Jetzt muss ich grinsen, und sie nimmt mich in den Arm.
»Und im Gegenzug hast du ihm gezeigt, dass das Leben auch für ihn noch neue Träume zu bieten hat. Ihr seid also quitt.«
Das hoffe ich.
»Ich habe ihn so vermisst.«
Wenn man Tristan kennenlernt und ihn so sieht, wie ich das durfte, dann will man ihn für immer in seinem Leben haben.
»Ihr werdet euch ja gleich wiedersehen, Layla. In der Zwischenzeit kannst du ein bisschen mit potenziellen Geldgebern schäkern.«
Beccie gibt mir einen Kuss auf die Wange und lässt mich dann alleine. Aber ich kann jetzt mit niemandem reden. Es ist schon nach neun Uhr und somit an der Zeit, dass ich mich einem unschönen Gedanken stellen sollte, den ich bisher ordentlich verschnürt, tief in meinem Hinterkopf gefangen gehalten habe. Er gefällt mir wirklich nicht, aber schön langsam sollte ich ihn zulassen. Und da ist er: Vielleicht ist es einfach noch zu früh. Immerhin hat er Stuttgart wegen all der Erinnerungen an Helen das letzte halbe Jahr gemieden, und dass ich hier die Fotos ausstelle, die ich von den Lieblingsplätzen seiner toten Freundin gemacht habe, macht die Sache nicht leichter. Was, wenn er noch nicht so weit ist? Was, wenn er es sich anders überlegt hat? Was, wenn er … doch nicht kommt?
Während ich noch einmal auf das Bild schaue, mit dem alles angefangen hat, fahren meine Emotionen Karussell, und mit ihnen alles, was sich die letzten sechs Monaten angestaut hat: die Zweifel, die Freude, die Angst, die Aufregung, einfach alles. Am Ende bleiben die Ungewissheit und die Dankbarkeit, für alles. Auch wenn Tristan nicht kommt, ist er hier. Er ist überall, in jeder einzelnen meiner Fotografien.
»Danke.«
Ich flüstere es nur, weil ich nicht will, dass jemand außer mir das hören kann.
Dann mache ich mich auf den Weg an die Bar und bestelle mir einen exklusiven dunkelroten Cocktail, dessen Namen ich vergessen habe, der aber der Dramatik des Moments angemessen scheint. Natürlich suche ich den Raum nach ihm ab, während ich auf den Drink warte, aber er ist noch immer nirgendwo zu sehen.
Um mich herum wird es etwas ruhiger, und ich wundere mich schon, was passiert sein könnte, da höre ich, wie Thomas einen seiner Songs mit der Gitarre spielt. Ich erkenne das Lied sofort, und er hat nicht zu viel versprochen: Es bietet wirklich genau in diesem Moment die perfekte Kulisse für meine Fotos – und für meine Gefühle.
Die Sterne strahlen nur für dich.
Ich hoffe, du hast klare Sicht.
Will sie nicht sehen ohne dich,
hoffe, du auch nicht ohne mich.
Vielleicht ist es verrückt, aber dieser Moment, so wunderschön er auch ist, könnte nur dann zu einem Lieblingsmoment werden, wenn Tristan hier wäre und wir ihn teilen könnten. Immerhin ist es eigentlich unsere Ausstellung.
Der Countdown läuft, noch 7 Tage,
dann schließ ich dich in meine Arme.
Ich will nicht hier sein ohne dich,
hoffe, du auch nicht ohne mich.
Der Barkeeper stellt mir zwei kleine Gläser vor die Nase. Es sind zwei Schnäpse, und ich hoffe, dass ich nicht den Eindruck erwecke, den Abend nur in Begleitung von Hochprozentigem zu überstehen.
»Entschuldigung, das habe ich nicht bestellt.«
»Ich weiß.«
»Ja und jetzt?«
»Ich soll auch noch etwas ausrichten.«
»Was denn …«
Meine Nackenhaare stellen sich auf. Mein Herz pocht, und ich spüre, wie mein Mund plötzlich ganz trocken wird. Noch immer starre ich auf die beiden Gläser Schnaps vor mir. Erinnerungen an eine blutende Wunde, an meine blöde Erste-Hilfe-Idee und an meine erste Begegnung mit Tristan schießen mir durch den Kopf. Es fühlt sich an wie das letzte Puzzlestück, das das Bild komplett macht, und ich spüre ein Kribbeln auf meiner Haut, während zahllose Schmetterlinge in meinem Inneren zeitgleich schlüpfen, als hätten sie sechs Monate auf genau diesen Moment gewartet. Da ist es wieder, das Flügelschlagen. Nichts hat sich verändert, rein gar nichts.
»Einer für den Erfolg und einer gegen den Schmerz.«
Danksagung
Es folgt mein absoluter Lieblingsmoment des Buches. Ich trete zurück und schubse die Leute ins Spotlight, die für gewöhnlich im Hintergrund
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