Lieblingsmomente: Roman
ungewohnt fremd an.
Er streckt seinen Kopf aus der Küche.
»Haben wir noch Milch?«
Oli und seine Milch. Er braucht sie jeden Morgen in seinem Kaffee und nachts, wenn er das Gefühl hat, sein Magen hätte das scharfe indische Essen doch nicht so gut verarbeitet, wie er immer behauptet. Jeder Versuch ist zum Scheitern verurteilt, denn seine Vorliebe für viel zu scharfes Essen ist seine große Schwäche. Am liebsten würde er alles in Tabasco, Chili-Öl und Sambal Oelek ertränken. Auch wenn sein Magen darunter leidet. Da ihm nur noch Milch hilft, wenn er es mal wieder übertrieben hat, sorge ich für gewöhnlich dafür, dass ein ordentlicher Vorrat im Haus ist.
»Neben der Spüle.«
Wir sind seit fünf Jahren zusammen und wohnen seit knapp zwei Jahren zusammen. Wir leben zusammen. Wieso bin ich jetzt so überrascht, ihn hier zu sehen? Ich fahre meinen Mac herunter, wiederstehe der Versuchung, später doch noch einmal einen Blick auf den Bildschirm zu werfen.
Oliver kommt mit einem Glas Milch aus der Küche und sieht mich aus schlaftrunkenen Augen an.
»Wie lief es so?«
»Gut.«
»Gute Fotos?«
»Einige.«
Er nickt, nimmt einen überraschend großen Schluck, stellt das leere Glas auf den Tisch vor mir und drückt mir einen Kuss auf die Wange, wobei ich seinen Milchbart spüre. Oli eben.
»Komm auch bald schlafen, ja?«
Damit lässt er mich wieder alleine, und ich sehe ihm nach. Ich denke wieder an Beccie und ihre Standpauke. Ich hatte wirklich keinen Grund, auf sie wütend – gut, eifersüchtig – zu sein. Tristan ist nicht mein Typ, und vor allem habe ich Oliver. Sie hat recht, und es erschreckt mich, dass ich ausgerechnet ihre Worte brauche, um mich daran erinnern zu lassen. Als hätte ich die Beweise dafür nicht überall um mich herum. Mein Blick fällt auf das leere Milchglas. Das ist so typisch für ihn. Er lässt Dinge stehen, wo er sie zuletzt benutzt hat. Das gilt im Übrigen auch für Socken aller Art, Schuhe, Jacken, Jeans. Es ist eine kleine Macke, an die ich mich zuerst gewöhnen musste, in die ich mich dann aber verliebt habe. Sie ist irgendwann zu etwas Vertrautem geworden, und heute erinnert sie mich daran, dass in dem Anzug tragenden, verantwortungsvollen und hart arbeitenden Oliver noch immer mein Oli steckt. Der Oli, der noch keinen Fünfjahresplan hatte, mir dafür aber jeden Sonntagmorgen völlig verkatert ein sagenhaftes Frühstück gemacht hat – und danach jedes Mal alles in der Küche stehen und liegen ließ. Vielleicht ist diese Erinnerung der Grund dafür, warum ich jetzt aufstehe und das Glas mit einem Lächeln zurück in die Küche stelle. Ja, ich habe einen Typ. Oliver. Und das heute war ein schöner, aber kurzer, aufregender Moment der Schwärmerei. Mehr nicht. Und wie heißt es so richtig? Was schön ist, gefällt auch dem lieben Gott.
Betreff: Erste-Hilfe & Dankeschön
Hallo Layla,
ich habe mich gestern gar nicht für deine schnelle Erste Hilfe bedankt. Zum Glück stand auf deinem T-Shirt der Hinweis auf deine Website. Ich dachte, ich bedanke mich mal, so wie es sich gehört und ohne von den Schmerzen der in Schnaps getränkten Wunde abgelenkt zu sein, und frage bei der Gelegenheit auch gleich, ob ich mich irgendwie revanchieren kann. Vielleicht mit einem Getränk deiner Wahl, das wir uns nicht ins Gesicht reiben? Melde dich einfach. Und: danke!
Grüße,
Tristan
Es ist Montagmorgen, ich sitze in meinem Büro, habe auf meinem Bildschirm zu viele Fenster geöffnet und starre mit einem dümmlich anmutenden Grinsen auf die E-Mail, die mich heute Morgen erreicht hat. Ich lese sie jetzt zum achten Mal, und immer wieder muss ich grinsen. Tristan ist witzig. Und aufmerksam. Ich hatte am Samstag wie immer, wenn ich beruflich auf Partys unterwegs bin, ein T-Shirt mit dem am Rücken aufgedruckten Logo und der Internetadresse meiner eigenen kleinen Firma an: Pix-n-Party.com. Auf der Homepage ist es dann einfach, meine E-Mail-Adresse zu finden, da es außer meiner nur noch eine allgemeine Infoadresse gibt. Er muss mir also nachgeschaut haben, als wir gegangen sind. Mein dämliches Grinsen wird noch breiter. Auf der anderen Seite bedeutet diese E-Mail aber auch, dass er eine Rückmeldung erwartet, eine Antwort – und sei sie auch noch so kurz. Und schon klappen meine Mundwinkel wieder nach unten. Soll ich ihm antworten? Was soll ich ihm antworten? Ein Treffen steht außer Frage. Oder? Wenn ich ehrlich bin, würde ich ihn aber gerne wiedersehen – was nicht geht. Schon
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