Lieblingsmomente: Roman
schicken Anzügen stecken, in denen sie bestimmt schwitzen, und gestresst an mir vorbeieilen. Können sie einen Sommertag in der Kesselstadt nicht einfach genießen? Nur ein bisschen? Stattdessen rempeln sie mich an oder schieben mich in ihrer Eile sogar aus dem Weg. Kurz will ich protestieren, unterlasse es dann aber. Ich wäre in so einem Anzugträger-Leben wahrscheinlich auch unglücklich. Ich liebe die Fotografie, und wenn ich die Chance habe, diese Leidenschaft zum Beruf zu machen und dafür auch noch bezahlt zu werden, dann würde ich das für nichts in der Welt aufgeben wollen. Schon gar nicht für einen stressigen Büroalltag, in dem ich kaum Zeit habe, meine beste Freundin zum entspannten Lunch am Wilhelmsplatz zu treffen.
Beccie ist schon da und hat einen Tisch draußen erobert – und wie immer sieht sie umwerfend gut aus. Ich habe es lange Zeit nicht glauben wollen, aber dafür muss sie gar nichts tun. Gott hat es einfach unheimlich gut mit ihr gemeint. Sie winkt mir lächelnd zu, und ich bin mir sicher, stünde gerade ein Mann hinter mir, würde er sehr hoffen, dass dieses Lächeln ihm gilt. Sie trägt ein rotes Sommerkleid, perfekt geschnitten für ihre Figur, und ihre schlanken langen Beine kommen in diesem Kleid viel zu gut zur Geltung. Plötzlich habe ich wieder die Gewissheit, neben ihr zu verblassen. Ich trage meine kurzen Jeansshorts, weinrote Chucks und ein helles Trägershirt. Eigentlich sollte das für ein Mittagessen mit der besten Freundin reichen, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.
»Hi, Beccie.«
»Hallo. Du warst wirklich meine Rettung. Ich dachte schon, der Anruf kommt nie. Wusstest du, dass …«
Ich habe noch nicht ganz Platz genommen, da sprudelt es schon aus ihr heraus. Beccie hat, wie soll ich sagen, immer etwas zu erzählen. Vor allem über Männer. Man tut gut daran, sie nicht zu unterbrechen, denn das kränkt sie. Sie braucht die Aufmerksamkeit. Schon immer. Ich denke, deswegen haben wir uns in der Grundschule angefreundet. Ich war froh, nicht viel sprechen zu müssen, und sie war froh, einen Zuhörer zu bekommen. Aus dieser anfänglichen Nutzgemeinschaft wurde aber schnell echte Freundschaft, spätestens als ich gemerkt habe, dass Beccie nicht nur unheimlich gerne redet, sondern auch unheimlich nett und überraschend gutmütig ist. Sie ist immer für mich da, zugegeben, manchmal vielleicht sogar zu sehr. Dann erdrückt sie mich fast mit ihrer Fürsorge, und ich muss sie davon abhalten, mir wegen einer kleinen Erkältung Bettruhe zu verordnen, die halbe Apotheke leer zu kaufen und meine Hand zu halten. Jetzt strahlt sie mich aber an. Offenbar sind die Männergeschichten zu Ende.
»Und? Wie geht es mit deiner Hausarbeit voran?«
»Ach, ich kann dieses ganze Medientheoriegerede nicht mehr sehen, hören und lesen. Und was ist da besser als ein Mittagessen im Freien mit meiner besten Freundin? Vor allem bei diesem Wetter?«
Sie reicht mir die Speisekarte, die ich bereits in- und auswendig kenne, und verfällt in einen Monolog über ihren Sonntag. Sie war Joggen, Radfahren, danach eine Runde Schwimmen und dann hat sie diesen süßen Rettungsschwimmer getroffen, mit dem sie abends noch aus war. Nachdem ich einen Blick auf Beccies lange Beine und den flachen Bauch geworfen habe, entscheide ich mich gegen Sahnesoße und für die Penne mit Limonensoße und Pistazien-Pesto. Außerdem wähle ich ein Glas Rotwein zum Essen. Beccie bestellt dasselbe. Soll noch mal einer sagen, wir Schwaben hätten keinen guten Geschmack.
»Übrigens, kriegst du mich wirklich nicht auf die Gästeliste für Freitag? Ich würde so gerne mitkommen.«
Freitag ist ein weiterer Event, bei dem ich als Fotografin dabei bin. Diesmal ist es der seit Wochen ausverkaufte Auftritt eines angesagten Berliner DJs, und wir wissen beide jetzt schon: Bekomme ich Beccie nicht auf die Gästeliste, stehen ihre Chancen sehr schlecht, den DJ aus der Nähe zu sehen. Leider ist der Veranstalter bisher hart geblieben.
»Ich habe mein Bestes gegeben, aber es sind wohl ohnehin schon zu viele Karten verkauft. Tut mir leid.«
»Schade. Aber mach dir keine Sorgen. Ich komme schon irgendwie rein.«
Sie nippt an ihrem Wein und sieht mich aus verträumten Augen an.
»Ich wette, der heiße Typ ist auch da. Ich meine, wer wird nicht da sein?«
Bei Beccies Lebenswandel und Flirtgewohnheiten muss man Buch führen oder notfalls erst mal so tun, als wüsste man genau, von welchem heißen Typen sie gerade spricht. Gestern noch
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