Lieblingsstücke
eines Wickelkleides vorzuschlagen, ist vielleicht ein bisschen zu weit gegriffen, Mord gehört nicht zu den adäquaten Mitteln, und letztlich sollte jede Frau doch selbst entscheiden, welchen Preis sie zu zahlen bereit ist. Ein gewisses Manko haben sie alle, die Männer. Das finden viele bestimmt sehr desillusionierend, aber es ist einfach die Wahrheit.
»Man kann sie sich eben nicht backen«, ist eine Weisheit meiner Mutter, und so schade das auch ist, es stimmt. Und was die eine unerträglich findet, hält die Nächste ganz gut aus. Geiz und eine dermaßene Fixierung aufs Aussehen wären für mich unerträglich. Da könnte Fritz ansonsten ein Knaller sein – das würde ich mir nicht bieten lassen.
»Iris, du entscheidest doch, was du auf einer Party anziehst. Sag doch einfach, das Kleid hat einen Fleck oder ist in der Reinigung oder beides.«
Das ist nun wirklich eine saubere Lösung für das Problem. Hach wie doppeldeutig. Eine saubere Lösung durch ein dreckiges Kleid. Eine geniale Idee, finde ich.
»Das klappt nicht«, zeigt sich Iris nicht ganz so begeistert wie erwartet, »die Party ist eine Farbmottoparty, Aquariumsfarben. Weil der Hubert, bei dem die Party stattfindet, doch eine Aquariumszubehörhandlung hat. Kannst du mir das Kleid bis zum Wochenende nicht wieder beschaffen? Du hast doch die Angaben der Käuferin! Biete ihr mehr Geld. Egal, was es kostet. Dann hast du echt einen gut bei mir.«
Langsam wird die Sache richtig peinlich. Ich meine, ich könnte die ganze Diskussion locker beenden, oben an meinen Kleiderschrank gehen und ihr das Kleid holen. Das wäre nur fair, aber es würde bedeuten, dass ich mit der Wahrheit rausrücken müsste. Auch das würde sich gehören, denn Iris ist ja mehr als eine Kundin. Sie ist eine Freundin. Ich entscheide mich, trotz aller guten Argumente, für einen anderen Weg.
»Das wird schwierig, aber ich werde das Kleid für dich auftreiben«, sage ich, und Iris ist sichtlich erleichtert.
»Danke, du bist die Beste«, strahlt sie mich an, und ich fühle mich wieder mal wie Judas.
»Ich muss dann mal los, zum Waxing. Ich melde mich übermorgen bei dir. Danke, Andrea, was wäre ich bloß ohne dich.«
Eine Frau mit grün-türkisem Wickelkleid, denke ich, halte aber meinen Mund.
Nachdem Iris endlich weg ist, widme ich mich meinen E-Mails, beantworte unsinnige Fragen nach Ärmellängen, Rollkragenweite und kläre Zahlungsmodalitäten.
Und schon wieder stoße ich auf eine E-Mail von einem gewissen Herrn Lümmert. Es ist nicht seine erste Mail an mich. Und es sind merkwürdige Mails, die er schreibt. Meine rege eBay-Tätigkeit und meine Texte seien ihm aufgefallen und es wäre schön, wenn ich mich diesbezüglich mit ihm in Verbindung setzen würde. Was will dieser fremde Mann nur von mir? Bisher habe ich ihm nicht geantwortet, schon weil ich ein wirklich ungutes Gefühl habe. Ist dieser Mann vom Gewerbeaufsichtsamt? Oder vom Finanzamt? Ich habe gedacht, wenn ich ihn und seine Mails ignoriere, hört er damit auf. Tut er aber nicht. Im Gegenteil. Diesmal bittet er sogar um einen Anruf. Es sei dringend. Wenn ich mich nicht melde, würde er auch andere Wege beschreiten, um mich zu erreichen. Das klingt nun echt bedrohlich. Soll ich warten, bis irgendein Offizieller vor meiner Tür steht oder mir eine Anzeige ins Haus flattert? Oder soll ich nicht doch besser in die Offensive gehen? Ich bin nun wahrlich keine besonders große Nummer in diesem Geschäft. Gibt es da nicht andere, die vor mir dran wären? Ich bin in dieser Hinsicht doch echt nur ein kleines Licht. Aber so ist das ja oft. Die Großen lassen sie laufen, und an den Kleinen wird ein Exempel statuiert.
Ich habe schon überlegt, mit Christoph zu reden, aber der ist zurzeit gedanklich ganz weit weg. Er ist mit seinem Marathon beschäftigt. Ende der Woche ist es soweit. Sein großer Tag naht. Der New-York-Marathon. Sein allererster Marathon. Wenn schon Marathon, dann kommt nur New York in Frage, war seine Devise. Was Christoph macht, macht er richtig. Da kann er geradezu akribisch werden. Deshalb richtet er sein Leben in den letzten Monaten nur nach irgendwelchen Plänen aus. Trainingsplänen wohlgemerkt. Und da er ja tagsüber dummerweise ins Büro muss,
läuft Christoph am frühen Morgen oder nach Büroschluss. Das ist, was den Trainingseifer angeht, durchaus lobenswert, was die Zeit für die Familie angeht, allerdings unerfreulich. Vor allem am Abend. Denn natürlich kann der Herr Sportler nicht mit der
Weitere Kostenlose Bücher