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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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Mantel fällt, muss der Herzog nach« von Schiller.
    Am wahrscheinlichsten bei meinem Vater ist aber ein Spruch von Wilhelm Busch. So etwas wie: »Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens aber später.« Jeder in unserer Familie hat ein gewisses Busch-Repertoire. Was man jahrelang hört, hinterlässt irgendwann Spuren. Das ist unvermeidlich.
    Meine Lieblingssprüche von Busch: »Ein Onkel, der Gutes mitbringt, ist besser als eine Tante, die bloß Klavier spielt.« »Dummheit, die man bei anderen sieht, wirkt meist erhebend aufs Gemüt.« »Klatschen heißt anderer Leute Sünden beichten« und meine absolute Nummer eins: »Das Gute – dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.«
    »So, Andrea«, zeigt sich mein Vater tatkräftig, »aller Anfang ist schwer. Ich nehme mir hier als Erstes das Regal vor, und später zeigst du mir mal, wie das mit dem Internet so genau geht.«
    Wie energisch mein Vater sein kann! Er übernimmt sofort das Kommando.
    Ein Büro ist eben so etwas wie sein natürlicher Lebensraum. Schon deshalb war die Pensionierung für meinen Vater ein Schock. Wie so oft bei Paaren mit klassischer Rollenverteilung. Mein Vater, auf einmal immer zu Hause, hat sehr schnell gemerkt, dass er da absolut nichts zu melden hat. Kein Wunder, schließlich hat er über Jahrzehnte diesen Bereich sehr bereitwillig meiner Mutter überlassen und die hat gar nicht daran gedacht, das mit einem Mal zu ändern. Insofern stand mein Vater von jetzt auf gleich ohne Regierungsbefugnis und Regierungsbezirk da. Das hat ihm gestunken, obwohl er nichts dergleichen hat verlauten lassen. Aber man hat es ihm angemerkt. Die Pensionierung hat ihn eindeutig mürrischer gemacht. Trotzig. Wie ein Kind, das sich nur widerwillig in sein Schicksal fügt. Wohl wissend, dass Gegenwehr es nicht voranbringt.
    »Papa, schau dich einfach um. Ich gehe hoch und kümmere mich ums Essen. Die Kinder kommen gleich.«
    Mark, mein Sohn, ist in der vierten Klasse der hiesigen Grundschule. Claudia geht in die siebte Klasse eines Gymnasiums. Sie besucht das ganz normale, staatliche Gymnasium, obwohl sie lieber auf die private Mädchenschule gegangen wäre. Die aber wollten unsere Tochter nicht. Ich gebe zu, das hat mich ziemlich geärgert. Erst die castingartigen Aufnahmegespräche und dann die, für mich unerwartete, Absage. Auch wenn nicht ich mich um den Platz beworben hatte, die Absage hatte ich aber doch persönlich genommen. Am liebsten hätte ich angerufen und den Rektor mit verstellter Stimme angepöbelt. Im Endeffekt habe ich es dann aber doch gelassen. Nachher erkennt er mich, heute gibt es ja die tollsten Stimmerkennungsprogramme,
und ich fange mir eine Anzeige wegen Beleidigung ein. Dafür ist der Moment der Freude zu kurz. Alles sollte doch einigermaßen im Verhältnis stehen. Seitdem bin ich immer vorne mit dabei, wenn andere über die Mädchenschule lästern. Ein beliebter Trick: Erlittene Schmach in Ablehnung umkehren.
     
    Gegen halb zwei trudeln die beiden Kinder ein. Claudia scheint mies drauf zu sein. Die Mundwinkel schleifen fast auf der Straße. Keine große Überraschung. Vor vier Monaten hat sich unsere, bis dato ziemlich freundliche, Tochter verwandelt. Schlagartig. Als hätte ihr nachts ein Vampir heimlich hinter unserem Rücken alles Nette und Verbindliche rausgesaugt. Ich glaube leider, es ist etwas sehr viel Gewöhnlicheres, und man nennt es schlicht und ergreifend Pubertät. Claudia ist zwölfeinhalb, und wer sie beobachtet, kann den Eindruck bekommen, sie habe eines der härtesten Schicksale überhaupt. Alles lastet auf ihren kleinen schmalen Schultern. Ihre persönlich schlimmste, tägliche Herausforderung heißt Mark und ist ihr kleiner Bruder.
    »Was soll man damit anfangen? Große Brüder sind cool, kleine sind die Pest.« Ich kann durchaus verstehen, dass einem kleine Brüder auf die Nerven gehen, schließlich habe ich selbst einen und kann mich gut erinnern. Aber Mark mit der Pest zu vergleichen, ist doch übertrieben. Und er ist nun mal auch mein Kind, bei aller Ich-weiß-wie-es-ist-einen-kleinen-Bruder-zu-haben-Solidarität. Insofern muss ich wenigstens versuchen, unparteiisch zu bleiben.
    Was momentan kein Problem ist, denn Mark ist gerade noch in dem Alter, in dem man als Mutter sehr gute Karten hat. Er ist tendenziell gut gelaunt und auch lustig. Und er findet mich gut. Es mag sein, dass Claudia ganz tief
drinnen ähnlich fühlt, sie kann es zurzeit aber perfekt verbergen. So auch heute.

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