Lieblingsstücke
Familie essen, wenn er danach noch laufen muss. Leuchtet mir ein, dass man mit vollem Magen keine fünfzehn Kilometer mehr rennen sollte. Aber leider kann der Rest der Familie auch nicht warten, bis die Trainingsstrecke absolviert ist. Deshalb müssen die Kinder und ich an den drei Trainingsabenden in der Woche auf Christoph verzichten. Auf meine kleinen Sticheleien diesbezüglich hat er sehr gelassen reagiert.
»Es muss sein. Ich bin auch nicht verrückt danach, durch die Dunkelheit zu rennen, aber wenn ich nicht regelmäßig trainiere, werde ich es auch nicht schaffen.«
Grubenlampe auf und weg. Ende des Gesprächs. »Na und«, hätte ich gerne gesagt, aber ich weiß, wie wichtig ihm dieser Lauf ist, und halte die Klappe. Wenn sich Christoph abends auf seine Runde macht, dann sieht er aus wie ein Bergarbeiter, der zur Schicht einfährt. Trainingssachen mit Leuchtstreifen und um den Kopf ein Stirnband mit Lampe. Das sieht absolut albern aus, aber da kennt Christoph nichts.
»Ich muss doch sehen, wo ich laufe«, argumentiert er durchaus vernünftig. Außerdem hat sich ein Bekannter von uns beim Joggen in der Dämmerung beide Arme gebrochen und brauchte dann selbst beim Po-Abputzen die Hilfe seiner Frau. Eine Vorstellung, die weder Christoph noch mir gefällt. Trotzdem – mir wäre diese Aufmachung peinlich, aber ich komme ja sowieso nicht in Versuchung zu laufen. Da brauche ich mir auch um das Outfit keine Gedanken zu machen. Ich glaube, mein Mann braucht den
Marathonlauf. Als Bestätigung. Ich wäre nicht bereit, mich für diesen kurzen Moment des Triumphes dermaßen zu schinden. Einen Marathon läuft man nämlich nicht einfach mal so. Zweiundvierzig Kilometer können sich verdammt ziehen. Ich bin bisher nie eine längere Strecke als fünf Kilometer gerannt, und wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, kann man das auch nicht wirklich rennen nennen.
Die Auswirkungen seines Trainings sind eigentlich eine gute Reklame fürs Joggen. Er hat abgenommen und ist mindestens so gut in Form wie zu der Zeit, als wir uns kennengelernt haben. Er sieht wirklich lecker aus. Leider ist viel mehr als Angucken zurzeit aber nicht drin. Nach seinen Abendläufen ist Christoph so kaputt, dass er, nachdem er literweise Wasser mit irgendwelchen dubiosen Zusätzen in sich reingeschüttet und sich geduscht hat, meist schon auf der Couch wegratzt. Wann Leistungssportler Sex haben, ist mir ein Rätsel. Schließlich rackern die sich doch täglich auch schon so genug ab. Ob sich ein Körper an diese Strapazen gewöhnt? Angeblich wirkt doch regelmäßiges Joggen sogar günstig auf die Libido. Davon ist in unserem Fall allerdings gar nichts zu merken.
Außerdem, wenn Christoph nicht rennt, blättert er in Laufbüchern oder checkt seinen neuen, besten Freund – den Blackberry. Ich bin schon froh, dass er im Bett nicht zwischen uns liegt, dieser Störenfried Blackberry, so innig ist sein Verhältnis zu diesem kleinen schwarzen, auf den ersten Blick völlig unscheinbaren Gerät. Eigentlich nicht mehr als ein Telefon, auf dem man auch Mails empfangen kann. Aber eben immer und überall. Seit Christoph dieses Teil besitzt, ist rund um die Uhr Bürozeit. Schon deshalb gehören diese Geräte eigentlich verboten. Manche Ehefrauen erinnern sich schon gar nicht mehr daran, wie ihr
Mann aussieht, weil der Kerl Tag und Nacht das Gerät vor dem Gesicht hat. Es kommt sogar zu Eifersuchtsszenen. Ein skurriler Kampf: Frau gegen Blackberry. Wahrscheinlich wird es in wenigen Jahren normal sein, dass wir so ein Ding direkt eingepflanzt bekommen oder es uns durch Genmutation einfach aus dem Unterarm wächst.
Bis dahin gelten bei uns jedenfalls strenge Regeln. Beim Frühstück herrscht ein Blackberry-Verbot. Und auch ins Schlafzimmer darf der Blackberry nicht. Dieses ständige Gepiepse kann einem auch wirklich auf den Keks gehen. Die Kollegen meines Mannes senden zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit Mails und erwarten natürlich auch postwendend Antwort. Vor allem seit Christoph zum Junior-Partner in der Kanzlei aufgestiegen ist. Ich dachte immer, Chefs werden eher in Ruhe gelassen, aber inzwischen weiß ich, dass es sich dabei um einen großen Irrtum gehandelt hat. Chefs müssen alles absegnen. Und da sich keiner traut, dem Oberpartner Dr.Langner nachts eine Mail zu schicken, wenden sich alle an Christoph. Vor allem, weil Dr.Langner nicht mal einen Blackberry hat. Er könne damit nicht umgehen, behauptet er. Die Tasten seien so klein. Wie schlau von ihm. Das
Weitere Kostenlose Bücher