Lieblingsstücke
Nicht »Hallo, Mama, wie war dein Vormittag?«, sondern nur »Was gibt’s zu essen?«, lautet ihre Begrüßung. Ich versuche, nicht direkt loszumotzen. Obwohl ich mir, in meinem eigenen Haus, ein bisschen wie eine ungeliebte Angestellte einer niederen Kaste vorkomme. Wie die Dienstleisterin einer mürrischen, wortkargen Prinzessin.
Ihre Hoheit Claudia die Erste betritt das Haus und schleudert den Rucksack (nur Babys wie ihr Bruder haben noch Ranzen) in die Ecke. »Hallo, mein Schatz«, begrüße ich dieses Muffelwesen freundlich, denn schließlich weiß ich, dass nicht der Teufel in mein Kind gefahren ist, sondern es sich nur um einen vertrackten Hormoncocktail handelt und man sich als Erwachsener nicht auf die gleiche Stufe begeben sollte. Schon weil man damit die Situation eher zum Eskalieren bringt. Es fällt mir, bei allem Wissen, schwer. Claudia stapft in die Küche.
»Igitt, Bratwurst«, zischt sie mit bitterem Blick auf den Herd.
»Aber du magst doch Bratwurst«, verteidige ich mein Essen.
»Das hast du extra gemacht!«, geht die Anklage weiter.
Natürlich habe ich die Bratwurst extra gemacht. Warum auch nicht? So extravagant ist ja eine schnöde Bratwurst nun auch nicht.
»Was stimmt denn nicht mit der Bratwurst?«, starte ich die Ursachenforschung, denn Claudia hat einen Blick, als lägen in der Pfanne Kutteln oder Stierhoden. Das hier ist ein einfaches Mittagessen, keine Dschungelprüfung! In ihrem kleinen Motzgesicht beginnt es verdächtig zu zucken.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich kein Fleisch mehr esse. Ich bin Vegetarierin. Und du ignorierst das einfach.«
Scharfe Geschütze. Ach du je. Aber es stimmt, gestern Nachmittag hatte sie so was von sich gegeben. Nur ehrlich gesagt, hatte ich den Ausbruch nicht so ernst genommen. War auch eher ein Nebensatz: »Ich esse keine Tiere mehr. Wie die Alina. Das ist eklig. Ich will keine Mörderin sein.«
Wenn ich jede kleine Ansage meiner Kinder für bare Münze nehmen würde, hätte ich viel zu tun. Manchmal höre ich vielleicht auch nicht gut genug zu. Ich bin sofort schuldbewusst, weil sich Nicht-gut-Zuhören für eine gute Mutti nicht gehört, und überlege, ob ich behaupten soll, dass das da in der Pfanne Tofu-Würstchen sind. Wäre eine hübsche, schnelle Lösung, aber ich bin doch unsicher, ob sie mir diese dreiste Lüge abnehmen würde. Wenn nicht, bin ich nicht nur eine Ignorantin, sondern auch noch eine Lügnerin.
»Vegetarier lassen das Fleisch einfach weg. Du kannst Kartoffelbrei und Karotten essen. Ich habe für dich gar keine Bratwurst eingeplant«, fällt mir zum Schluss noch eine Top-Ausrede ein. Deeskalationstaktik nennt man das.
»Ha«, kommt die patzige Antwort, »ich kann doch zählen. Da liegen aber drei von diesen toten Tierstücken.«
Eine Bratwurst – ein Stück totes Tier.
»Papa, kommst du? Es gibt gleich Essen«, ziehe ich meinen Publikumsjoker.
»Wieso sagst du zu Papa Papa?«, ist meine Tochter jetzt komplett verwirrt. »Das ist ja wie bei Oma Inge und Rudi«, schnaubt sie verächtlich.
Oma Inge und Rudi sind meine Schwiegereltern, die sich wahrscheinlich tatsächlich nicht mehr an ihre Vornamen
erinnern. Weil sie sich nie beim Vornamen nennen. Sondern Vati und Mutti. Das klingt schlimm, ist auch schlimm, aber bei den beiden hat es was Liebevolles. Und manchmal ist es vielleicht besser, Mutti genannt zu werden, statt wie Mutti behandelt zu werden.
Mein Vater steckt seinen Kopf zur Küche rein.
»Zimtschnecke, kleine Claudi, da freut sich der Opa aber«, begrüßt er seine Enkelin.
Sie verzieht ihre Mundwinkel nach oben, man könnte es fast Lachen nennen, und liefert damit den Beweis, dass ihr sonstiges Dauer-Motzgesicht keine körperlichen Ursachen hat. Beruhigend. Das hätte ich mich mal wagen sollen. Kleine Claudi!
Klein Claudi fällt in Opas Arme. Sie ist kein dummes Kind, weiß also, dass man sich sicherheitshalber doch immer ein paar Leute warm halten sollte.
»Siehst du«, belege ich meine Bratwurstthese, »der Opa isst heute mit uns zu Mittag. Deshalb die dritte Bratwurst.«
»Hmmhm«, brummelt sie noch nicht völlig überzeugt. Mein Vater tätschelt Claudia den Kopf. Wie einem kranken Hund. Erstaunlicherweise scheint sie diese Geste ein wenig zu entspannen. Muss ich demnächst auch mal ausprobieren. Monotones Tätscheln.
Es klingelt. Mark ist endlich auch da. Der braucht für seinen Schulweg von geschätzten fünfhundert Metern manchmal mehr als eine halbe Stunde. Mittlerweile sorge ich mich nicht
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