Lieblingsstücke
natürlich von Nachteil ist und der Methode komplett die Grundlage entzogen hat.
Jetzt betreibe ich eine Art Mischkalkulation. Manchmal lasse ich ihn einfach in Ruhe – seine Lieblingsvariante! –, manchmal appelliere ich an seinen Verstand – ein sehr zähes Geschäft –, manchmal drohe oder locke ich. Ewig solche Sätze wie: »Wenn nicht, dann … «, »Du wirst schon sehen … «, »Die Konsequenzen musst du ausbaden … «, »Es sind deine Hausaufgaben, nicht meine … «, oder »Dann gehst du eben zur Müllabfuhr.« Besonders das mit der Müllabfuhr hat Mark gefallen. Er findet es cool, wie die Männer lässig hinten auf dem Trittbrett stehen. Ich glaube, er hat ein leicht verklärtes Bild, so als wären Müllmänner die Cowboys der Neuzeit.
»Aber es kann ziemlich stinken«, warne ich ihn.
»Die Hausaufgaben stinken mir auch«, kontert er nicht schlecht, und der Kampf geht weiter. Selbst Drohungen wie Fernsehverbot beeindrucken Mark nur mäßig.
»Dann gucke ich DVD «, findet er schnell eine Alternative.
Ich denke, Mark könnte sich gut in der Politik machen. Immer schön das letzte Wort haben.
Dabei kann ich, was Drohungen bei Mark angeht, sehr konsequent sein. Viel konsequenter als bei mir selbst. Ich drohe mir nämlich ab und an auch selbst. »Wenn du weiter zunimmst, Andrea, dann gibt es keine Schokolade mehr.« Im Resultat allerdings ähnlich erfolgreich wie bei meinem Sohn. Bei dem hoffe und warte ich mittlerweile eigentlich nur noch auf altersbedingte Einsicht.
Mit Claudia, um auch endlich mal was Nettes über sie zu sagen, hatte ich nie so einen Zirkus. Sie macht ihre Hausaufgaben. Schon immer. Nicht aus Leidenschaft, sondern einfach, weil es sein muss. Reiner Pragmatismus. Und weil ihr schnell mal was peinlich ist. Der Gedanke, ohne Hausaufgaben in die Schule zu gehen, ist ihr extrem unangenehm. (Übrigens auch etwas, was Mark null kratzt. Möglicher öffentlicher Tadel prallt an ihm ab, als hätte er eine Spezialimprägnierung.) Claudias Hefte sehen immer gut aus. Besser als meine je ausgesehen haben. (Natürlich würde ich das ihr gegenüber niemals zugeben. Jedenfalls nicht in den nächsten Jahren. Das wäre ja gerade so, als würde ich ihr ohne Not einen Trumpf in die Hand geben.) Was ihr in ihrem Zimmer komplett abgeht, Ordnungssinn, ist da kein Problem. Im Gegenteil. Sie verziert, macht und tut, als gäbe es auch Designpreise für Schulhefte. Ein Aufwand, den man sich rein ökonomisch betrachtet sicher sparen könnte, aber wenn es ihr gefällt, warum nicht. Ob das Verhalten meiner Kinder etwas Geschlechtsspezifisches hat? Sind Jungs nun mal chaotischer? Per se schlampiger, was die Schule angeht? Wenn dem so wäre, hätte ich natürlich
eine fantastische Ausrede für meinen Sohn. Nach dem Motto: Er kann ja nicht anders – es liegt in seinen Genen. Aber auch wenn es in meinem Umfeld tatsächlich so ist, dass Mädchen liebevoller gestaltete Hefte haben als Jungs, ich kenne trotzdem auch ein paar, die einigermaßen Ordnung halten. Und mein Mann ist ein fast schon penibel ordentlicher Mensch, was zeigt, dass, selbst wenn es was Genetisches sein sollte, man durchaus dagegen angehen kann. Außerdem wird dieses genetische Argument sehr gerne als Pauschalausrede für Männer genommen, und das geht mir zunehmend auf den Wecker. Thesen wie »Männer gehen nur fremd, weil sie eben diese Disposition haben, ihren Samen überall zu verteilen« sind, um es mal freundlich zu sagen, seltsam. Wir sind auch aus den Höhlen raus – und der Mann mag mal Jäger gewesen sein, aber wir haben uns ja auch ansonsten weiterentwickelt. Selbst die Männer. Einige jedenfalls.
Zum Nachtisch gibt’s Vanillepudding. Claudia schaufelt ihre Portion in sich rein, als wäre es die erste Nahrung nach einem monatelangen Aufenthalt in einer Fastenklinik. Der perfekte Moment für die Verkündung der neuen Zimmerverteilung.
»Kinder, ich habe eine tolle Überraschung für euch, der Opa wird für eine Weile hier wohnen!«, beginne ich zuversichtlich.
»Ist die Oma tot?«, fragt Mark entsetzt.
Mein Vater schüttelt hastig den Kopf.
»Aber nein. Die Oma und ich haben uns nur ein bisschen gestritten«, präsentiert er die harmlose Variante seiner Asylsuche.
»Weil die Oma so streng ist?«, bleibt Mark beim Thema.
Mein Vater nickt. Claudia hat noch gar nichts gesagt.
Sie guckt mich an, und ich grinse freundlich. Da dämmert es ihr.
»Wo schläft der Opa?«, fragt sie mich.
»Bei Mark«, antworte ich, und sie sagt nur,
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