Lieblingsstücke
mehr. Er ist nun mal ein Sammler und Jäger und stopft sich auf dem Weg nach Hause die Hosentaschen mit allerlei Zeug voll. Mal sind es Steine, mal Zweige, mal eine alte Dose. Er kann alles gebrauchen. Wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass mein Sohn mal ins Recycling-Geschäft
einsteigen will. Auch er freut sich, seinen Opa Franz zu sehen, und schenkt ihm aus lauter Begeisterung erst mal einen schönen Stein, den er bei den Nachbarn im Vorgarten gefunden hat.
Das lässt sich gut an. Jetzt muss ich den beiden nur noch verklickern, dass Opa ab jetzt hier wohnt. Und zwar in Marks Zimmer. Erst die Nahrung, dann die Wahrheiten. Auf leeren Magen erscheint mir das gefährlich. Vor allem für Mark. Wenn Claudia erfährt, dass sie ab sofort mit ihrem Bruder ihr Zimmer teilen muss, und das mit niedrigem Blutzuckerspiegel, ist der Tag gelaufen. Deshalb führen wir zunächst die klassischen Nachschulgespräche. Wer hat wen genervt, wer war blöd (fast alle außer ihr natürlich!), welcher Lehrer ist gemein und unfair, und warum sind Jungs per se inakzeptabel. Soweit Claudias Themenpalette. Ich halte mich bei ihren Vorträgen mit Kommentaren meistens zurück. Vor allem, weil die Idioten von heute morgen oft die besten Freunde sind und man sich eigentlich nur in die Nesseln setzen kann. Mein Vater kennt dieses tägliche Schulalltagsgerede nicht, ist also noch nicht so abgestumpft wie ich. Er steuert ein kleines Zitat zum Thema bei.
»Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.«
Claudia nickt nur, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass sie verstanden hat, was ihr Opa mit dem Busch-Zitat sagen wollte. Umso besser. Gerade brennt ihr Hormonfeuerchen auf kleiner Flamme, jeder Kommentar kann jedoch wie Brennspiritus wirken. Heikel also.
Mark hingegen hat wenig zu meckern. Er geht ganz gerne in die Schule. Ich glaube allerdings nicht unbedingt, dass es am Unterricht liegt oder an seiner grenzenlosen Wissbegierde (was natürlich fantastisch wäre und Christoph
und mich beglücken würde), sondern eher an den Sozialkontakten. Er hat viele Freunde und findet besonders die Pausen toll. Der Rest gehört für ihn einfach dazu. Als erträgliches Verbindungselement zwischen den Pausen. Sein Dilemma sind die Hausaufgaben, deren Sinn und Zweck ihm komplett unverständlich ist. Dementsprechend sehen sie dann auch aus und sind schon deshalb ein steter Quell der häuslichen Freude. Er gebärdet sich fast immer so, als wäre ich schuld an den Aufgaben.
»Du machst sie doch nicht für mich, sondern für dich«, habe ich geschätzte siebenundvierzigtausenddreihundertachtundsechzig Mal gesagt, aber der Groschen fällt einfach nicht. Ich versuche, ihm zu erklären, dass man seine Aufgaben nicht so schludrig machen kann, er ist daraufhin zutiefst persönlich beleidigt, hält das Ganze für bloße Schikane und findet sein Geschmiere völlig ausreichend.
Meine Mutter war mit uns in dieser Hinsicht um einiges rabiater. Wenn der was nicht gefallen hat, hat sie es durchgestrichen oder die Seite rausgerissen, und wir konnten den ganzen Käse nochmal machen. Bemerkenswert ist, dass wir zwar auch beleidigt waren, uns aber nicht getraut haben, größer aufzumucken. Damals hätten alle mehr Respekt gehabt, sagen alte Leute ja gerne mal und nicken dabei weise mit dem Kopf. Ich weiß nicht, ob es nur der Respekt war. Es war immer auch ein Hauch von Angst dabei. Angst vor dem, was passieren könnte, wenn man sich tatsächlich verweigern würde. Ein kühner Gedanke an einen möglichen Boykott – zu mehr hat es bei mir nie gereicht. Schon deshalb habe ich diese Methoden meiner Mutter gehasst und mir natürlich geschworen, dass ich das nie so machen würde.
In meiner Verzweiflung habe ich sie dann doch ausprobiert. Wenn man merkt, dass auf die erklärende und verständnisvolle Art nichts geht, dann greift man in der Not auch mal zu Mitteln, die man eigentlich ablehnt. Ich bin nicht stolz darauf und würde das öffentlich auch ungern zugeben – ehrlich gesagt, eigentlich überhaupt nicht –, mir war nur schlicht nichts mehr eingefallen, und dieses nachmittägliche Hausaufgabentheater hatte die häusliche Stimmung auf allen Seiten dermaßen runtergezogen, dass ich dachte, die Brutalo-Methode könnte vielleicht doch die Lösung sein.
Sie hat bei Mark nicht funktioniert. Vielleicht, weil er sich vor mir generell nicht fürchtet, was ja so gesehen sehr gut ist und garantiert für unser Verhältnis spricht, aber in diesem Fall
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