Lieblingsstücke
ein guter Junge und sehr sensibel.«
Bestreitet ja keiner, dass ihr Paul ein guter Junge ist. Habe ich etwa gesagt, Paul wäre das Böse in Person? Bisher war ich immer freundlich zu Cornelia, eben weil Paul ein enger Freund von Mark ist. Jetzt reicht es mir.
»Mag sein, Cornelia, aber auch dir dürfte es wohl nicht gefallen, wenn die Kinder dein Haus auseinandernehmen. Oder deine Akten durchwühlen.« Cornelia ist Steuerberaterin. Die neigen doch zum Korinthenkackertum.
»Wenn man sich mit den Kindern, statt mit Äußerlichkeiten, beschäftigt, passiert so was nicht«, kommt sie mir moralinsauer.
Gerade so, als würde sie nachmittags ein ausgeklügeltes Animationsprogramm bieten. Lächerlich, vor allem, wenn man wie ich weiß, dass sie die Kinder ziemlich oft vor einer DVD parkt. Aber bevor ich das kleinlich aufs Tapet bringe, halte ich lieber meinen Mund und spare mir diesen wunderbaren Müttertrumpf auf. Den kann ich – nachtragend, wie ich nun mal bin – wunderbar in großer Runde einsetzen. Das ist zwar dann so eine Art offene Kriegserklärung, aber nach dem heutigen Showdown werden wir wohl sowieso keine dicken Freundinnen mehr werden.
»Lass uns das irgendwann anders besprechen. Ich habe noch was vor und jetzt echt keine Zeit.«
Sie streicht ihrem armen Paul demonstrativ über den
Kopf und sagt nur: »Wir werden sehen. Komm, Paul, wir gehen.«
Wäre auch nicht schlecht gewesen, sie hätte mal Paul gefragt, was da los war, anstatt sich direkt, wie eine tollwütige Hyäne, auf mich zu stürzen. Ich darf keinesfalls vergessen, Cornelia auf meine Liste zu setzen.
Lukas wird fünf Minuten später abgeholt. Von seinem Vater. Ich erspare mir jede Bemerkung, schon weil ich weder Lust noch Kraft für eine weitere Diskussion habe. Außerdem zeigt Lukas immerhin einen gewissen Grad an Scham. Beim Abschied schaut er mich kurz an und sagt tatsächlich: »Entschuldigung, Andrea. Tut mir leid.« Lukas darf wiederkommen. Er ist ein guter Junge.
Es gibt Momente im Leben, so wie der eben mit Cornelia, da würde ich mich unheimlich gerne einfach schrecklich betragen. Zu Frauen wie Cornelia sagen: »Du kannst mich mal, du alte Kackbratze. Blöde Flunz.« Oder schlicht: »Leck mich.« Noch cooler wäre natürlich ein lässig hingesagtes: »Lass uns vor die Tür gehen und die Sache regeln.« Im Falle von Cornelia allerdings heikel. Sie kann Karate. Außerdem habe ich eine Art eingebaute Bremse. Eine Benimmsperre. Im Grunde eine gute Sache, denn wenn sich im Mütterkosmos auch nur einen halben Tag lang alle das sagen würden, was sie wirklich denken, wäre ein weiteres Miteinander komplett unmöglich. Schön wäre auch die Möglichkeit, einfach zu anderen Müttern sagen zu können: »Ich spiele nicht mehr mit.« Undenkbar, denn wer ein Kind hat, spielt automatisch mit. Hat eine Dauermitgliedschaft im Mütterclub, ohne jemals einen Antrag gestellt zu haben.
Die fremden Kinder sind weg, und auch mein Sohn hat
sich verdrückt. Ist außer Sichtweite. Mein Vater verspricht mir, das Thema heute Abend nochmal anzusprechen, und Iris versucht, mit einer Ladung Puder die hektischen roten Flecken auf meinem Hals und Dekolleté zu beseitigen.
»Du darfst dich jetzt nicht aufregen«, säuselt sie mir ins Ohr. »Denk nicht mehr dran, dein Vater und ich kümmern uns um alles, du gehst aus, du siehst aus wie eine Königin, also entspanne dich.«
Wie eine Königin ist charmant, aber ein ganz klein wenig übertrieben. Wie eine Königin nach übermäßigem Karottengenuss trifft es eher. Jetzt hier im Flur vor meinem Spiegel sieht das Gelborange wieder ziemlich gelb und kein bisschen braun aus.
»Hast du asiatische Wurzeln, die auf einen Schlag sichtbar geworden sind?«, witzelt jetzt auch mein Mann Christoph, als er mir in seinem Smoking gegenübersteht. Männer sollten häufiger Smoking tragen. Leider bietet sich selten Gelegenheit, aber ein Smoking sieht an nahezu allen Männern einfach toll aus. So herb und nach Klasse. Man hat sofort Visionen von James Bond vor Augen. Will einen Martini kippen und sich retten lassen. Vor irgendwas. Und dann hinabsinken in satinbezogene, riesige, runde Lotterbetten. Was ich damit eigentlich nur sagen will: Christoph sieht umwerfend aus. Das ist schön, aber auch ein bisschen ernüchternd. Der geht einfach nur hoch, duscht, zieht sich um und ist fertig. Kein Gedanke an Klebeband oder Lockeneisen. Kein Puder, keine Smokey Eyes. Mann zu sein hat definitiv Vorteile.
»Schuhe an«, unterbricht Iris
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