Lieblingsstücke
meine Gedanken und mein Schmachten und reicht mir Mörderpumps, bei denen ein klitzekleines Stück vom großen Zeh rausguckt.
»Peep Toes«, klärt sie mich auf. Dazu hat sie eine passende,
sehr kleine, sehr gestylte Handtasche. Handtäschchen wohl eher. »Und zieh die hier an«, gibt sie mir letzte Anweisungen und riesige diamantenbesetzte Kreolen.
»Sind die echt?«, frage ich entsetzt. Der Gedanke, mich durch den Verlust eines solchen Ohrrings lebenslang zu verschulden, ist nicht sehr verlockend. Ohrringe im Wert eines Autos machen mir Angst.
»Von Hennes«, lacht sie. »Ich habe mir gleich drei Paar gekauft. Machen enorm was her. Und niemand kommt so nah an dein Ohr ran, um zu merken, dass es nur Strass ist. Kannst du geschenkt haben.«
Sie zieht ihr Handy aus der Tasche und postiert Christoph und mich vor dem Haus. Ein Beweisfoto, und wir dürfen gehen.
»Viel Spaß«, rufen mein Vater und Iris, und ich habe das Gefühl, die zwei sind froh, uns endlich los zu sein.
Die Schuhe drücken schon im Auto. »Nicht ausziehen«, ermahne ich mich selbst. Sobald man unbequeme Schuhe auszieht, kann man es vergessen. Die Füße, jedenfalls meine, schwellen vor lauter Freude, aus dem engen Käfig raus zu sein, in Sekundenschnelle an, und ich hätte dann keine Chance mehr, sie an diesem Abend wieder zurück in die Schuhe zu quetschen.
Christoph gibt mir auf der zwanzigminütigen Fahrt zur Alten Oper in Frankfurt noch letzte Informationen. Wer warum wichtig ist, wer mit wem nicht kann und warum. Das alles klingt eher nach Anspannung als nach Spaß. Ich würde wirklich gerne einfach mal wieder ausgehen, feiern, reden, worüber ich Lust habe, mich amüsieren ohne Rücksicht auf irgendeine Gattin oder irgendeinen Schwachmaten, der aber karrierestrategisch wichtig sein könnte.
»Alle, die in der Juristerei was zu melden haben, kommen«,
teilt mir Christoph mit. »Und wenn schon«, würde ich gerne sagen. Kann man nicht irgendwann mal aufhören zu schleimen? Geht das ein Leben lang so weiter? Der ist wichtig, der entscheidet, den sollte man sich warmhalten. Ist Taktik heute alles? Das hat etwas Erbärmliches. Wahrscheinlich muss man sogar bei der Aufnahme ins Altersheim noch rumbuckeln.
»Du bist doch schon Juniorpartner. Das wird dir keiner wegnehmen, wenn deine Frau eine falsche Bemerkung macht!«
Ich komme mir vor wie ein renitenter Teenager, der, gegen seinen Willen, in die feine Gesellschaft eingeführt werden soll. Christophs Ausführungen haben in mir das Gefühl geweckt, ich sei eine Art menschliche Zeitbombe, die man in der Öffentlichkeit sehr genau justieren muss. Als hätte ich in letzter Zeit irgendwas Peinliches gemacht. Schön wäre es. Manchmal sehne ich mich direkt danach.
Christoph lacht. »Ich mein ja nur«, versucht er seinen kleinen Vortrag im Nachhinein abzuschwächen.
»Ich habe keine Unterwäsche an«, sage ich, um mal das Thema zu wechseln. Das hier soll keine Prüfung, sondern ein lustiger Abend werden.
»Wie bitte, wieso denn das?«, ist seine Reaktion. Der nimmt das tatsächlich ernst. Sollte doch nur ein Scherz sein, um ihm seine Nervosität zu nehmen.
»Keine Sorge, ich verrate es keinem deiner Kollegen«, kichere ich.
Endlich fällt der Groschen. Er lenkt das Auto nach rechts, hält auf dem Seitenstreifen und sagt: »Kontrolle.« Jetzt stehe ich auf der Leitung. Was für eine Kontrolle? Will er überprüfen, ob ich irgendwo einen Flachmann versteckt habe oder heimlich Zigaretten mit mir rumtrage?
Von wegen. Seine Hand ist blitzschnell da, wo ich angeblich keine Unterwäsche trage. Jetzt staune ich. Er scheint fast enttäuscht, als er auf eine Stoffbarriere stößt. Ich habe meinen Mann unterschätzt.
»War doch nur ein Witz!«, kläre ich die Situation.
»Schade«, sagt er. »Zieh sie aus!«
Was hat der da gerade gesagt? Ich soll hier auf dem Standstreifen meine Unterhose ausziehen?
»Jetzt?«, frage ich.
»War auch nur ein Witz!«, lacht er, und wir fahren weiter.
Auch der eigene Mann kann einen noch überraschen. Das ist gut, denke ich, sehr gut.
Der Abend verläuft bis kurz vor Mitternacht relativ unspektakulär. Der Senior-Partner aus der Kanzlei meines Mannes, der »große« Langner, macht mir ein Kompliment für mein Kleid, kommt mit seinen Blicken aber nicht über den Ausschnitt hinaus. Das Klebeband hält und scheint seinen Zweck zu erfüllen. Ich könnte wetten, dass, wenn man dem Langner die Augen verbinden und ihn fragen würde, wie mein Kleid genau aussieht, er
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