Lieblingsstücke
Christoph fahren muss. Zum Flughafen.«
»Weiß ich doch«, strahlt sie mich an. »Aber wie schon gesagt, ich habe alles geregelt. Ich hab ihn angerufen und gefragt, bis wann du da sein musst. Er hat gesagt, es sei kein Problem. Ist für ihn in Ordnung, wenn dir so viel daran liegt. Es reicht, wenn du um sieben hier bist. Das schaffen wir. Locker. Und er hat auch gesagt, dass ja dein
Vater hier ist. Also das mit den Kindern damit auch kein Thema ist.« Nie geht mein Mann ans Telefon. Ich kann so oft wählen, dass ich fast schon Hornhaut auf den Fingern bekomme, und die erreicht ihn sofort. Da wäre es einmal sinnvoll gewesen, nicht ans Telefon zu gehen, und genau dann hebt der ab. Und das ausgerechnet auch noch bei Annabelle. Jetzt sieht es wirklich stockfinster für mich aus. Ich muss ab sofort aufhören zu lügen.
»Annabelle, echt, das ist mir zu hektisch, und jetzt mal ganz ehrlich, ich habe auch keine Lust.« Ich fühle mich todesmutig. Aber das sollte argumentativ nun wirklich reichen. Wahrscheinlich wird sie schön sauer werden, aber irgendwie kriege ich das schon wieder hin.
»Nee, meine Liebe«, wehrt sich da Annabelle glatt. »So einfach kommst du mir nicht davon. Du hast es versprochen. Du erinnerst dich doch sicher. Jesus. Meine Oma. Muss ich noch mehr sagen?«
»Nein«, will ich schreien, »du musst gar nichts mehr sagen, nur verschwinden. Mich in Ruhe lassen mit diesem spirituellen Schnick-Schnack.« Stattdessen sage ich: »Ja, Annabelle, mag sein, aber ich habe es mir anders überlegt. Ich will einfach nicht. Das Channeling hat mir gereicht.«
Sie schnaubt. Atmet demonstrativ tief durch. »Hat es eben nicht, ganz offensichtlich, so voller Aggression wie du bist. Das ist ja fast schon pathologisch.« Das ist fast so wie bei einem Boxkampf. Gong – zweite Runde. Ich habe Annabelles Zähigkeit unterschätzt. Das soll man nie tun.
»Und überhaupt, Andrea, ich hab schon bezahlt. Schließlich hast du gesagt, du kommst mit!«
»Wann geht es los?«, frage ich und ergebe mich in mein Schicksal.
»Na also, warum nicht gleich!«, kommentiert Annabelle
mein Einlenken. »In einer halben Stunde müssen wir da sein.«
»Setz dich, ich bin in zehn Minuten fertig«, sage ich und haste hoch zu Claudia. Sie sitzt vor dem Computer und zuckt zusammen, als ich ins Zimmer komme.
»Anklopfen ist ja wohl nicht zu viel erwartet«, motzt sie direkt los. Leider habe ich keine Zeit für häusliche Etikettediskussionen.
»Ich muss nochmal weg, auf ein Seminar, ich komme in drei Stunden wieder. Spätestens. Mach deine Hausaufgaben, und spiel nicht die ganze Zeit am Computer. Der Opa ist bestimmt vor mir wieder da. Der ist mit Mark im Senckenberg-Museum.«
»Okay«, sagt sie gelangweilt und schiebt »Ist noch was?« hinterher. Was übersetzt in etwa heißt: Zieh Leine.
»Nein, sonst ist nichts. Ich wünsche dir auch einen schönen Nachmittag. Tschüss, Claudia«, sage ich so freundlich wie eben noch möglich und schließe die Tür ein bisschen fester als nötig.
Womit habe ich all das verdient? Ich habe ein bisschen geschwindelt – okay, aber dafür Annabelle und Claudia ertragen zu müssen, das ist schon eine geballte Ladung. Ich ziehe mir was über, schick machen muss man sich zum Wiedergeborenwerden ja eher nicht, und steige mal wieder zu Annabelle ins Auto.
»Du versprichst mir aber, mich auch wieder heimzufahren, gell?«, frage ich nochmal sicherheitshalber nach. Nach der Jesus-Nummer hätte sie mich ja fast im Gewerbegebiet Eschborn stehen gelassen, aber solch einen Patzer kann ich mir bei meinem heutigen Zeitkorsett nicht erlauben. Natürlich könnte Christoph auch mit dem Taxi zum Flughafen fahren, aber in dieser Hinsicht ist er ein kleiner
Knauser. Geldverschwendung. Findet er. Wenn es auf Kanzleikosten geht, sieht er das allerdings nicht so eng.
»Also das ist ein Einführungskurs ins Rebirthing. Man kann dann noch Einzelstunden buchen«, beginnt Annabelle, kaum dass wir losgefahren sind, mit Einführungsansprache. »Du hast dich sicher informiert, was Rebirthing ist, oder, Andrea?«, fragt sie dann. Ihr Ton hat was Lehrerinnenhaftes, und mir fällt siedendheiß Frau Rupps ein. Claudias Klassenlehrerin. Die habe ich jetzt vergessen. Und die Nummer liegt auf dem Esstisch. Ob ich noch eben zu Hause anrufe und Claudia bitte, mir die Nummer durchzugeben? Ein Versuch ist es wert.
»Andrea, ich habe dich was gefragt, und du fängst einfach an zu telefonieren. Höflich ist was anderes«, regt sich Annabelle
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