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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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und dazu eine Jogginghose aus Ballonseide. Im Hintergrund wummern sphärische Klänge. Ken erscheint freundlich.
    »Ich habe euch schon erwartet«, begrüßt er uns. »Tee?«
    Wir nicken.
    Er führt uns in sein Wohnzimmer und kommt mit einer Kanne Tee hinterher.
    »Setzt euch«, sagt er und schenkt Tee ein. Dann beginnt er seine theoretische Einführung: »Das Rebirthen kann einiges in euch auslösen. Durch eine spezielle Atemtechnik, die ich euch zeigen werde, verfallt ihr in Trance. Die kann euch zu eurer Geburt zurückführen, aber auch zu anderen Erlebnissen, die entweder traumatisch oder befreiend für euch waren. Eins ist wichtig: Lasst alles raus. Egal, ob ihr schreien, lachen oder weinen wollt – lasst euch gehen.«
    Ein seltsamer Vorschlag: Ich soll mich hier vor einem Althippie in Jogginghose, den ich gerade erst kennengelernt habe, gehen lassen. Aber bitte. Ich werde ihn mit Sicherheit nie wiedersehen, insofern kann es mir ja egal sein. Annabelle scheint schon jetzt sehr ergriffen. Sie hört gar nicht mehr auf zu nicken. Ich hoffe nur, dass wir bald anfangen. Mein Zeitkorsett ist heute wirklich eng geschnürt. Nicht, dass ich noch im Uterus sitze, wenn ich eigentlich schon auf dem Weg zum Flughafen sein sollte! Wir trinken einen Schluck Tee, und dann zeigt Ken auf ein Paar Matten.
    »Legt euch hin und entspannt euch. Rebirthing ist eine ganzheitliche Methode, die durch das Auflösen von Blockaden zu einer Harmonisierung von Körper, Geist und Seele führt. Rebirthing berührt alle vier Ebenen menschlichen
Seins – die körperliche, die gefühlsmäßige, die verstandesmäßige und die spirituelle Ebene – und sorgt da für immense Veränderung. Es bringt euch weiter. Und nicht wundern, es kann beim Rebirthen Momente geben, die nicht so angenehm sind. Es gibt Menschen, die werden von Weinkrämpfen geschüttelt, manche verkrampfen, manche müssen kotzen. Alles ist möglich!«
    Das klingt alles nicht wirklich lecker. Hoffentlich hat auf meiner Matte noch keiner gekotzt. Als wir liegen, startet er mit seinen Atemanweisungen.
    »Lang, tief ein, flach, kurz aus. Dein Atem verteilt sich in deinem Körper. Er fließt.« Ich werde gelobt – ich sei ein Atemtalent –, Annabelle hingegen muss noch flacher atmen. Und runder, fließender.
    »Ohne Pause einatmen, tief und sanft, und ohne Pause ausatmen.«
    Wir atmen und atmen. Ein Geschnaube wie im Pferdestall. Nach einer Weile schlafen mir die Finger ein, dann die Hände. Ich atme weiter. Meine Beine kribbeln, aber ich atme weiter. Langsam werde ich etwas ängstlich. Ich fühle mich, als hätte eine Dampfwalze auf mir geparkt. Ich versuche keine Panik aufkommen zu lassen, schließlich hat Ken ja gesagt, dass es sein kann, dass der Körper komisch reagiert. Hauptsache, ich muss mich nicht übergeben. Auch Weinkrämpfe wären mir peinlich. Mittlerweile fühlt sich mein kompletter Körper dumpf an. Hoffentlich ende ich nicht im Rollstuhl. Wenn das die unangenehmen Gefühle sind, die ich im Mutterleib und beim Geborenwerden hatte, dann macht es wirklich Sinn, sie zu verdrängen. Angenehm ist was anderes. Als ich darüber nachdenke, wie lange das hier wohl noch dauern wird, und überlege, ob ich mal unauffällig auf die Uhr gucken kann, werde ich
jäh unterbrochen. Ken rennt aus dem Raum und ruft dabei Annabelle »ruhig, ruhig« zu.
    Ich schaue zu Annabelle hinüber und erstarre. Sie sieht grauenvoll aus. Sie hat sich hingesetzt, hält ihre Arme vor die Brust und hat ihren Mund merkwürdig gespitzt. Wie ein verkrampfter Kussmund. Als ich an ihr rüttele, erscheint auch schon Ken. Mit einer Plastiktüte. Will er die verkrampfte Annabelle schnell zum Lidl schicken oder was soll das?
    »Sie hyperventiliert«, erklärt er mir nur, bevor er Annabelle die Tüte vor den Mund hält. »Zu wenig Kohlendioxid. So mit der Tüte atmet sie ihren eigenen Atem ein und nimmt wieder Kohlendioxid auf. Passiert leicht beim Rebirthen. Man kriegt Krämpfe, dann Panik und hyperventiliert dadurch immer stärker.« Annabelles Atmen klingt langsam besser.
    »Jetzt müssten auch die Pfötchenstellung und das Karpfenmäulchen gleich wieder weg sein«, informiert er mich.
    Sehr charmant von Ken, Annabelles Krampfmund Karpfenmäulchen zu nennen. Und dafür bezahlen wir auch noch. Als könnte er Gedanken lesen, redet er weiter:
    »Nennt man so beim Hyperventilieren. Ist ganz typisch. Nichts Besonderes. Kann schnell passieren. Habe ich öfters.«
    Ich bin verwirrt. Hat er das öfters oder seine

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