Lieblingsstücke
nächste Mal mit. Echt schade mit heute. Aber der Mann geht dann doch vor.« Mit diesen freundlichen Worten beende ich meine Mailboxansprache. Da bin ich ja doch noch elegant aus der Nummer rausgekommen. Iris ist auch erleichtert.
»Na dann gehe ich mal«, verabschiedet sie sich und schnappt sich das Wickelkleid. »Ach, Andrea, was kriegst du von mir für das Kleid?«, fragt sie dann noch, korrekt wie sie nun mal ist. »Ist okay«, gebe ich mich großzügig. »Lass mal. Danke für deine Hilfe gestern. Nimm es einfach mit.«
»Toll! Lieb von dir«, sagt sie und macht sich auf den Heimweg. Mein Vater ist immer noch im Keller. Scheint sich dort wohlzufühlen. Umso besser.
Ich habe genug zu tun, packe die Einkäufe aus, sortiere und bereite das Mittagessen vor.
Neulich habe ich mir, als ich mal wieder lustlos in irgendeinem Topf gerührt habe, ausgerechnet, wie oft eine Mutter in ihrem Leben ruft: »Kinder, Essen ist fertig.« Ich bin auf etwa sechstausenddreihundert Mittagessen gekommen. Achtzehn Kinderjahre und etwa dreihundertfünfzig Mittagessen pro Jahr. Immerhin essen die Kinder ja ab und an auch bei anderen. Sechstausenddreihundert
Mittagessen! Und da soll man mit Spaß bei der Sache bleiben. Mit dem Wissen, dass man mit Kindern in dem Alter von Mark und Claudia noch etwa dreitausend Mittagessen vor sich hat. Mindestens. Und in dieser Rechnung ist noch nicht einkalkuliert, dass ein Kind in der Schule sitzen bleibt.
Heute gibt’s Pfannkuchen, wie eigentlich jede Woche mindestens einmal. Nicht, weil die Zubereitung so interessant ist, sondern weil es eines der Gerichte ist, die immer gut ankommen. Und fleischlos ist es auch noch. Meistens, wenn ich, angeregt durch diverse Kochsendungen, was Neues ausprobiere, mir also totale Mühe gebe, um zum Beispiel frischen Koriander aufzutreiben, ernte ich wenig Applaus. Kinder sind die wahren Spießer, und der Satz: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht – stimmt. Wenn es nach meinen Kindern ginge, könnte ich Woche für Woche, Tag für Tag, das immergleiche Essen servieren. Wenn Nudeln der Hauptbestandteil der Mahlzeit sind, kann man nicht viel verkehrt machen. Ich bewundere immer wieder Eltern, die es geschafft haben, aus ihren Minderjährigen kleine Gourmets zu machen. Zehnjährige, die begeistert nach Sushi verlangen (ohne asiatische Vorfahren zu haben), oder Kindergartenkinder, die voller Hingabe Oliven und Blauschimmelkäse naschen wie meine Kinder matschige Milchschnitten. Wenn Kinder beim Essen pinzig sind, fällt das, wie eigentlich alles, auf die Eltern zurück. Da muss dann was schiefgelaufen sein.
»Du sollst meine Lehrerin anrufen«, teilt mir Claudia beim Mittagessen ganz nebenbei mit.
»Und wieso?«, frage ich zurück.
»Weiß ich doch nicht. Mir hat sie nichts gesagt. Keine
Ahnung«, antwortet meine Tochter und macht ein Unschuldslammgesicht. Wer’s glaubt.
»Hier ist die Nummer«, sagt sie, kramt in ihrem Rucksack und legt mir einen zerknüllten Zettel auf den Tisch. Frau Rupps steht drauf und eine Frankfurter Nummer. Frau Rupps, auch das noch, die Klassenlehrerin.
»Hör zu, Claudia«, versuche ich an das Einsichtszentrum meiner Tochter zu appellieren, »wenn ich die anrufe, wäre es gut, ich wäre nicht komplett ahnungslos und wüsste in etwa, worum es geht.«
»Die kann mich nicht ab, das ist alles«, bemerkt meine Tochter nur, »keine Ahnung, was die Kuh will.«
»Ich finde nicht, dass Frau Rupps eine Kuh ist. Sie ist deine Lehrerin, und bis vor kurzem hast du sie doch noch ganz nett gefunden. Also nenn sie nicht Kuh!«
»Hast du selber doch schon über die gesagt. Außerdem ist sie eine.« Mit den eigenen Waffen geschlagen. Wenn es drauf ankommt, können Kinder ein ausgesprochen gutes Gedächtnis haben. Und sie hat recht, ich habe vor einigen Wochen tatsächlich mal gesagt, dass ich Frau Rupps für eine blöde Kuh halte. So dahingesagt. Ohne groß nachzudenken. Es war nicht mal so gemeint. Oder nur ein ganz klein bisschen. Ich meine, mal ehrlich, natürlich ist Frau Rupps eine blöde Kuh. Nicht weil sie Lehrerin ist. Ich gehöre nicht zu den Eltern, die Lehrer per se ablehnen. Im Gegenteil. Ich bewundere diese Berufsgruppe. Wie man das ohne Dauerdrogenkonsum aushalten kann, ist mir ein Rätsel. Aber Frau Rupps ist schlicht unsympathisch. Das gibt’s bei Lehrern wie bei Bäckern oder Ingenieuren. In jeder Berufsgruppe. Aber egal, was man von einem Lehrer hält, man sollte es nicht laut sagen. Jedenfalls nicht vor den
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