Lieblose Legenden
wie ich die künstlichen Blumen in der Vase ordnete oder ein
Spitzendeckchen auf einer Armlehne glattstrich, und als die Kiste mit den
gedrehten Kerzenhaltern und Schalen kam, war ich beim Auspacken auf jedes Stück
gespannt. Ich nahm gar nicht zur Kenntnis, wer sie mir geschickt hatte.
Es wurde Sommer. Sylvia war verreist,
und deshalb hatten die bisher regelmäßigen Sendungen von Kreuzstichdecken und
Sofakissen aufgehört, dafür aber schickte sie bunte Ansichtskarten, diverse
Ausflugsziele darstellend. Ich ordnete sie in ein Album.
Renate aber besuchte mich eines Abends
und brachte mir ein Album mit Schallplatten mit. Sie bestand darauf, daß ich
sofort einiges spiele. Zuerst spielten wir eine Phantasie, betitelt: »Aus
Webers Zauberwald«, dann »die schönsten Chöre aus Wagners Opern« und zum Schluß
das Finale der fünften Sinfonie von Beethoven. Dann ging sie. Als sie weg war,
spielte ich noch die Ballettmusik aus »Rosamunde« und ging schlafen. Die
Kuckucksuhr schlug zwölf. Ich hatte begonnen, mich an ihr zu orientieren.
Einmal noch habe ich versucht, mich
aufzulehnen; das war der Tag, als Herr von Stamitz, der sich inzwischen mit
Sylvia verlobt hatte, das Bücherregal aus geflammtem Nußholz und die
Buchattrappen schickte. Heute ist es mir nicht mehr klar, warum ich mich gerade
bei dieser Gelegenheit in sinnlosen Ärger steigerte, denn handwerklich war das
Ding über jeden Tadel erhaben. Ich erinnere mich, daß ich in der Wohnung
umherlief wie in einem Käfig. Ich versuchte, die Spitzendeckchen von den
Sesseln zu ziehen: ich hatte vergessen, daß ich sie inzwischen angenäht hatte.
Mit den Zähnen wollte ich einige Kreuzstichdecken zerreißen, aber sie waren
zäh, waren aus gutem, derben Bauernleinen. Sylvia
hatte stets minderwertiges Material verachtet. Alles was bei dieser Gelegenheit
zerbrach, war eine kostbare Negerplastik, eines der wenigen Andenken an die
Zeiten vor dem Besuch meines Onkels. Über diesen exemplarischen Unglücksfall
mußte ich lachen, und mein Ärger ließ nach. Gelassen machte ich mich an die
Arbeit, indem ich die Buchrücken in das Nußbaumgestell ordnete und auf beiden
Seiten befestigte. Dabei las ich die Namen Gibbons, Macaulay ,
Mommsen und Ranke. Es war eine Auswahl für Historiker. Ich habe mich übrigens
immer sehr für Geschichte interessiert.
Diese Nacht träumte ich, ich wandle
durch leere Säle, in denen nur hier und dort ein sachliches Möbelstück stand.
Ich setzte mich auf einen Stahlschemel. Sofort wuchsen ihm gepolsterte Rücken-
und Armlehnen mit Kissen aus Samt und Rips. Kristallkandelaber senkten sich von
der Decke nach unten. Frauen, in wallenden Gewändern, das Haar über den Ohren
zu Schnecken gerollt, wälzten schwere, goldgeschnittene Bände heran, die sie
vor mir öffneten. Die Seiten waren mit Stichen und Photographien beklebt, unter
welchen Unterschriften wie »Franz Liszt im Freundeskreis« oder »Abendstimmung
am Walchensee« oder »Hiroshima, mon amour « zu lesen waren. Ich wachte auf, als die Pendeluhr
aus dem Wohnzimmer drei schlug, drehte die Nachttischlampe an, da stand die
Bronzefigur in schrecklicher Gegenwärtigkeit vor mir; ich drehte die Lampe
wieder ab, da rief der Kuckuck dreimal - er ging offenbar nach - ich drehte
wieder an und warf den »Kakteenzüchter« nach dem Kuckuck, er ging daneben, ich
versuchte es mit dem Hirsch aus Rosenthalporzellan, traf aber den schlüpfrigen
Kupferstich »la surprise «, der neben der Kuckucksuhr
hing. — Das Glas zersplitterte, und ich wurde ruhiger. Die Krise war
überstanden.
So wuchs meine Wohnung langsam zu. Es
kam immer weniger Besuch, denn es kostete inzwischen Mühe, sich zwischen den
Möbeln durchzuwinden, um zu einer Sitzgelegenheit zu gelangen, und wenn man
doch hingelangte, konnte man sich nicht mehr setzen, denn auf den Stühlen lagen
gerahmte Stiche, Geschirr aller Art, und auch manches ob seiner edlen
Sachlichkeit preisgekrönte Stück.
Einmal noch besuchte mich mein Onkel,
aber ich sah ihn nicht, denn ich lag im Bett, und er konnte den Weg zu mir
nicht finden. Ich bat ihn deshalb, das mitgebrachte Bild, bei dem es sich
diesmal, wie er mir zurief, um etwas Modernes handelte, auf eines der
Satztischchen aus Teakholz zu legen, deren es doch in der Vorhalle einige geben
müsse. Er rief mir zu, daß die Tischchen bereits mit allerlei Keramikgefäßen
besetzt seien, Dingen übrigens von offensichtlich künstlerischem Wert. Ich gab
keine Antwort mehr und weiß deshalb nicht, ob mein Onkel
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