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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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Frühwerke anschloß, »die Muse küßt
dich unentwegt. Das wollen wir begießen .« Er zog eine
Flasche Kognak aus der Rocktasche. In seiner Fähigkeit, sein einziges Ziel im
Leben — die sogenannte Hochstimmung — zu verwirklichen, war er wahrhaftig
beneidenswert. »Ein begabter Hund, was ?« fragte er
Frau von Hergenrath . Er meinte mich. Ich war damit
beschäftigt, Gläser zu holen, sah daher nicht, ob er sie dabei — wie es seine
Art war — in die Seite puffte.
    Hier stieß meine Frau zu uns. Das
Geräusch des Entkorkens weckt sie immer, weckt sie selbst auf einige
Entfernung, es wirkt, wo Küchenwecker versagen. Sie wandelte auf uns zu und
begrüßte uns verhalten. Ich hatte das Gefühl, daß sie außer mir niemanden so
recht erkannte: Es wurde ihr immer ein wenig schwer, sich nach dem Mittagsschlaf
im Leben zurechtzufinden, aber nach einigen Glas Schnaps gewann sie ihre — oft
eigenwillige — Perspektive wieder. Engelhardt reichte ihr ein großzügiges Maß.
Dann wollte er Frau von Hergenrath einschenken; sie
aber legte ihre flache Hand auf das Glas und sagte, sie trinke niemals um diese
Zeit. Diese Feststellung enthielt natürlich eine Spitze, auf mich gerichtet:
Ein Mäzenat , dessen Nutznießer am hellichten Tag
außerkünstlerischer Tätigkeit nachgehe, sei zu überprüfen! Aber diese Feinheit
nahm Engelhardt nicht wahr. Unter Anwendung seiner spaßigen Überredungskunst
gelang es ihm, sie zu einem sogenannten halben Gläschen zu bewegen. Damit war
die Basis zur Überschreitung ihrer Vorsätze geschaffen, und hiernach sprach
sie, wie man sagt, dem Kognak eifrig zu.
    Leider gelang es mir nicht, Engelhardt
daran zu hindern, auch dem Glaser einen Schluck anzubieten. Dieser hatte bis
dahin sinnlos vor sich hingehämmert, obgleich er längst mit seiner Arbeit
fertig sein mußte. Es gefiel ihm hier. Auf Engelhardts Aufforderung hin kam er
nun zum Tisch, sagte: »Ich bin so frei«, und kippte sich — man kann es nicht
anders ausdrücken — die Flüssigkeit in den Hals. »Ich male auch«, sagte er
daraufhin zu Engelhardt, gleichsam um die Aufnahme in unseren Kreis als gerechtfertigt
erscheinen zu lassen. »Wer malt nicht ?« fragte dieser
albern, aber damit konnte der Glaser nichts anfangen und verwickelte meine Frau
in ein — freilich einseitiges — Gespräch über Kunst.
    So saßen wir denn, als sich die Tür
öffnete und ein mir fremdes Paar — vermutlich ein Ehepaar — eintrat. Da meine
Frau über dem Getränk ihre Pflichten als Gastgeberin vergessen hatte, stand ich
auf und begrüßte die beiden so freundlich, wie es mir unter den Umständen
gegeben war. Der Mann stellte sich vor — den Namen verstand ich nicht; ich habe
beim Vorstellen noch niemals einen Namen verstanden; denn jeder Name trifft mich
unvorbereitet — und sagte, er käme mit einer Empfehlung von Hébertin in Paris.
»Aha, Hébertin«, sagte ich und nickte, als sei mir die mit ihm verbrachte
Periode meines Lebens gegenwärtig; dabei hatte ich noch nie von ihm gehört. Ich
stellte das Paar meiner Frau und den anderen vor, indem ich einige Vokale
murmelte, die ich in ihrem Namen gehört zu haben glaubte, und betonte dabei die
Empfehlung von Hébertin, aber dieser schien bei niemandem eine
Gedankenverbindung hervorzurufen. Meine Frau holte Gläser, Engelhardt zog eine
zweite Flasche aus einer anderen Rocktasche, und schon war das Paar mit von der
Partie.
    Irgendwie war die Situation außer
Kontrolle geraten. Erstens beunruhigte mich der Anblick dieses Glasers; er
hatte seine Hand auf Frau von Hergenraths Arm gelegt
und erklärte ihr soeben, daß er das male, was er sehe, aber sie hörte nicht zu,
sondern trällerte leise. Zweitens hatte mich ein Gefühl hilfloser Melancholie
ergriffen. Die Vision des geplanten Bildes war in sich zusammengestürzt, die
Muse verhüllten Gesichtes geflohen; sie hatte nichts zurückgelassen als einen tantalisierenden Terpentinduft. Ich sah auf das unbekannte
Paar. Beide rauchten Zigarre. Sie schienen sich wohl zu fühlen. Die Frau
erzählte soeben meiner Frau, daß Hébertin in die Rue Marbeau gezogen sei und immer noch — leider — seiner alten Angewohnheit fröhne . Dem Mienenspiel der Frau nach zu urteilen, mußte es
sich um etwas Schlimmeres als Rauschgift handeln.
    Inzwischen hatte Engelhardt, der Herr
der Situation, noch mehrere Leute angerufen — er selbst nannte diesen Akt:
»Zusammentrommeln« — und ihnen erklärt, bei mir sei ein Fest im Gange. Er
forderte sie auf, zu kommen und Freunde,

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