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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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es
gleichgültig geworden ist, ob sie getan sind oder nicht. Ich packte den Mantel
sorgfältig ein, trug das Paket zur Post und schickte es ab. Erst dann fiel mir
ein, daß ich vergessen hatte, das Pilzbuch herauszunehmen. Aber ich bin kein
Pilzsammler.
    Ich ging noch ein wenig spazieren, und
als ich nach Hause kam, irrten der Klavierstimmer und meine Frau in der Wohnung
umher und schauten in die Schränke und unter die Tische.
    »Kann ich helfen ?« fragte ich.
    »Wir suchen Herrn Kolhaas ’
Mantel«, sagte meine Frau.
    »Ach so«, sagte ich, meines Irrtums
bewußt, »den habe ich soeben nach Australien geschickt .« — »Warum nach Australien ?« fragte meine Frau. »Aus
Versehen«, sagte ich. »Dann will ich nicht weiter stören«, sagte Herr Kolhaas , etwas betreten, wenn auch nicht besonders
erstaunt, und wollte sich entschuldigen, aber ich sagte: »Warten Sie, Sie
können dafür den Mantel von meinem Vetter bekommen .«
    Ich
ging auf den Speicher und fand dort in einem verstaubten Koffer den hellgrauen
Mantel meines Vetters. Er war etwas zerknittert — schließlich hatte er zwölf
Jahre im Koffer gelegen — aber sonst in gutem Zustand. Meine Frau bügelte ihn
noch ein wenig auf, während ich mit Herrn Kolhaas ein
Glas Sherry trank und er mir von einigen Klavieren erzählte, die er gestimmt
hatte. Dann zog er ihn an, verabschiedete sich und ging. Wenige Tage später
erhielten wir ein Paket. Darin waren Steinpilze, etwa ein Kilo. Auf den Pilzen
lagen zwei Briefe. Ich öffnete den ersten und las:
     
    Lieber Herr Holle, (so heiße ich)
    da Sie so liebenswürdig waren, mir ein
»Taschenbuch für Pilzsammler« in die Tasche zu stecken, möchte ich Ihnen als
Dank das Resultat meiner ersten Pilzsuche zuschicken und hoffe, daß es Ihnen
schmecken wird. Außerdem fand ich in der anderen Tasche einen Brief, den Sie
mir wohl irrtümlich mitgegeben haben. Ich schicke ihn hiermit zurück.
    Ergebenst Ihr A. M. Kolhaas
     
    Der Brief, um den es sich hier
handelte, war also wohl der, den mein Vetter damals in den Kasten stecken
wollte. Offenbar hatte er ihn dann mitsamt dem Mantel zu Hause vergessen. Er
war an Herrn Bernhard Haase gerichtet, der, wie ich mich erinnerte, ein Freund
meines Vetters gewesen war. Ich öffnete den Umschlag. Eine Theaterkarte und ein
Zettel fielen heraus. Auf dem Zettel stand:
     
    Lieber Bernhard!
    Ich schicke Dir eine Karte zu
»Tannhäuser« nächsten Montag, von der ich keinen Gebrauch machen werde, da ich
verreisen möchte, um ein wenig auszuspannen. Vielleicht hast Du Lust, hinzugehen. Die Schmidt-Hohlweg singt die Elisabeth. Du schwärmst
doch immer so von ihrem hohen Gis.
    Herzliche Grüße, Dein Eduard
     
    Zum Mittagessen gab es Steinpilze. »Die
Pilze habe ich hier auf dem Tisch gefunden. Wo kommen sie eigentlich her ?« fragte meine Frau. »Herr Kolhaas hat sie geschickt .« — »Wie nett von ihm. Es wäre doch
gar nicht nötig gewesen .«
    »Nötig
nicht«, sagte ich, »aber er ist eben sehr nett .«
    »Hoffentlich
sind sie nicht giftig. — Übrigens habe ich auch eine Theaterkarte gefunden. Was
wird denn gespielt ?«
    »Die Karte, die du gefunden hast«,
sagte ich, »ist zu einer Aufführung von >Tannhäuser<, aber die war vor
zwölf Jahren !« — »Na ja«, sagte meine Frau, »zu
>Tannhäuser< hätte ich ohnehin keine große Lust gehabt .« Heute morgen kam wieder ein Brief von Eduard mit der Bitte, ihm eine
Tenorblockflöte zu schicken. Er habe nämlich in dem Mantel (der übrigens
seltsamerweise länger geworden sei, es sei denn ,. er
selbst sei kürzer geworden) ein Buch zur Erlernung des Blockflötenspiels
gefunden und gedenke, davon Gebrauch zu machen. Aber Blockflöten seien in
Australien nicht erhältlich. »Wieder ein Brief von Eduard«, sagte ich zu meiner
Frau. Sie war gerade dabei, die Kaffeemühle auseinanderzunehmen und fragte:
    »Was schreibt er ?« — »Daß es in Australien keine Blockflöten gibt .« — »Dann
soll er doch ein anderes Instrument spielen«, sagte sie.
    »Das
finde ich auch«, meinte ich.
    Meine Frau ist von erfrischender,
entwaffnender Sachlichkeit. Ihre Repliken sind zwar nüchtern aber erschöpfend.

Ich finde mich zurecht
     
     
     
     
     
     
    Eines Abends — es ist jetzt etwa ein
Jahr her — besuchte mich mein Onkel. Er brachte mir zwei Bilder mit, die er,
wie er sagte, auf einer Auktion günstig ersteigert hatte. Es handelte sich um
zwei große, echte, schwere Ölgemälde, auf Leinwand mit pastosem Aufwand gemalt, in dicken,

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