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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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sich die Haare gefärbt hat —
vielleicht mit Farben, die ehemals mir gehörten; ich erkenne die Halldorff , die ich zum letztenmal vor acht Jahren als Maria
Stuart gesehen habe (übrigens ein unvergeßlicher Eindruck!), Frau von Hergenrath ist gegangen — vielleicht ist sie inzwischen
gestorben? — , aber der Glaser, ja, der ist immer noch
— und war auch die ganze Zeit — dabei.
    Er war dabei an jenem Nachmittag, als
das Atelier noch mir gehörte, jenem denkwürdigen Nachmittag, als ich nach einer
langen, unfruchtbaren Periode wieder anfangen wollte, zu malen. Er wechselte
einige zerbrochene Fensterscheiben aus und hämmerte leise vor sich hin. Meine
Frau lag im Nebenzimmer und schlief; draußen regnete es: Die Stimmung ist mir
noch gegenwärtig. Im Vorgefühl, nun nach Wochen des Suchens einer Eingebung auf
der Spur zu sein, mischte ich vergnügt die Farben und erfreute mich am würzigen
Duft der Emulsionen.
    Der Glaser glaste still und schwieg: Er würde nicht stören, so dachte ich. Aber als ich die
Leinwand auf die Staffelei stellte, sagte er: »Ich male auch .«
    »So«, sagte ich kühl, vielleicht habe
ich auch »ach« gesagt, jedenfalls war mein Kommentar einsilbig.
    »Ja«, fuhr er dennoch ermuntert fort,
»Bergmotive in Wasserfarben. Aber nicht so modern wie diese Sachen, wo man
nicht weiß, was oben oder unten ist. Ich male, was ich sehe .« Er sprach mit der aggressiven Autorität des Amateurs. »Kennen Sie den
Landschaftsmaler Linnertsrieder ? Ich male so wie der .«
    Ich sagte, daß ich diesen
Landschaftsmaler nicht kenne, und beschloß, nun doch mit dem Beginn der Arbeit
zu warten, bis der Glaser sich entfernt habe. Denn ich kannte diesen schmalen
Stimmungsgrat: wenn ich meiner Reizbarkeit freie Bahn ließe, würde sofort die
Konzeption meines Bildes ins Wanken geraten. Ich setzte mich in einen Sessel,
zündete mir eine Zigarette an und versuchte, den kommenden Schaffensakt vor mir
herzuschieben, sanft, sanft, damit er nicht verletzt werde. Aber bevor der
Glaser mit seiner Arbeit fertig war, kam Frau von Hergenrath .
Ich hörte auf zu schieben und unterdrückte einen Atemstoß der Resignation. Es
galt, Ruhe zu bewahren: Sie war eine Mäzenin , die
Wesentliches zu meinem Lebensunterhalt beitrug. Denn die Kunst geht nach Brot,
wie jedermann, der nichts davon versteht, oft und gern versichern wird.
    »Ich komme«, sagte die Gute, »um mich
nach Ihnen umzusehen .« Dabei sah sie sich um, als
suche sie mich zwischen den Bildern. »Ich höre, Sie gehen durch eine
unfruchtbare Periode .«
    Ich war nun wahrhaftig nicht geneigt,
mich mit Frau von Hergenrath über die Tücken meiner
Muse zu unterhalten. Daher versicherte ich ihr, das Gegenteil sei der Fall, ich
erfreue mich voller Schaffenskraft, wobei ich mit vitaler Geste auf die
umherstehenden Bilder als Zeugen wies. Sie waren zwar alt, und Frau von Hergenrath hatte sie alle bereits mehrere Male gesehen,
aber ich konnte mich auf ihr mangelhaftes Gedächtnis verlassen. In der Tat
erkannte sie die Bilder nicht und ging mit frischer, unsachlicher Kritik daran,
indem sie mehr als einmal das Gegenteil dessen äußerte, was ich als ihre
frühere Meinung in Erinnerung hatte. Etwas gequält, wie immer bei solchen
Anlässen, hörte ich ihr zu. Aber wenigstens war der Glaser verstummt. Er hatte
schweigend das Hämmern wieder aufgenommen. Ich stellte fest, daß der Regen
nachgelassen hatte. Die Zeit stand still.
    Dieser einschläfernde Nachmittag nahm
eine jähe Wendung, als Engelhardt plötzlich ins Zimmer stürzte, Engelhardt, der
unausstehliche Gesellschafter mit seiner tödlichen Herzlichkeit, dem man aber
nicht böse sein darf, denn wie reifer Camembert ist er unter seiner
unangenehmen Schale weich, was ihn letzten Endes noch unausstehlicher macht.
Das auch noch! Ich zuckte zusammen bei dem Gedanken an den Schulterschlag, den
er mir gleich geben würde. Er küßte Frau von Hergenrath die Hand, stürzte sich dann auf mich und schlug zu. Dabei rief er zuerst etwas
mit »alter Knabe« und fragte dann: »Was macht die Kunst ?«
    »Na ja! es geht«, sagte ich. Die
Antwort auf solche Fragen variierte ich von Fall zu Fall nur gering. Es war mir
niemals gelungen, eine Entgegnung zu finden, die zugleich kurz und erschöpfend
ist, und es war auch nicht nötig, denn die Fragesteller schienen stets mit
diesen vagen Worten zufrieden zu sein.
    »Ich sehe«, fuhr dieser Mensch fort,
indem er sich Frau von Hergenrath bei der
Besichtigung einiger besonders schwacher

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