Lieblose Legenden
das Bild dagelassen
oder wieder mitgenommen hat, denn ich liege seitdem im Bett. Mein Onkel war der
letzte Besuch.
Ich stehe nicht mehr auf, denn wenn ich
auch den Weg durch das Schlafzimmer zu finden vermag, verlaufe ich mich im
Wohnzimmer. Ich liege und döse vor mich hin, schaue mir Postkarten oder
Photogravüren an oder spiele auf dem Grammophon, das neben meinem Bett steht,
das Ständchen von Schubert oder das » Ave Maria«,
gesungen von einer Negersängerin. Sie hat eine so schöne, beruhigende Stimme.
Auch lese ich manchmal im »Kakteenzüchter«, dem ich, zum Beispiel, entnommen habe,
daß Kakteen manchmal blühen. Vielleicht blüht einer von den meinen, aber ich
weiß es nicht, denn, wie gesagt, ich besuche mein Wohnzimmer nicht mehr.
Schlafen kann ich jetzt wieder, denn eines Nachts habe ich den Kuckuck mit
einer Vase aus schwedischem Glas getroffen, gerade als er zurückschlüpfen
wollte. Die Pendeluhr im Wohnzimmer ist schon vor langem stehen geblieben, und
ich kann nicht mehr zu ihr gelangen, um sie aufzuziehen. Außerdem will ich es
auch garnicht , denn es wäre sinnlos.
Das Atelierfest
Seit einiger Zeit findet in dem Atelier
neben meiner Wohnung ein rauschendes Fest statt. Ich habe mich an diesen
Umstand gewöhnt, und das Rauschen stört mich gewöhnlich nicht mehr. Aber
manchmal, da gibt es Höhepunkte, da tobt es, und ich sehe mich veranlaßt, beim
Hauswirt Beschwerde einzulegen. Nachdem ich das mehrmals getan hatte, kam er
eines Abends, um sich selbst von dem Lärm zu überzeugen. Aber wie es eben so
ist — zu diesem Zeitpunkt hatte eine ruhige Periode eingesetzt, und die Folge
war, daß der Hauswirt meine Klage als unberechtigt zurückwies. Ich hoffte, ihn
vielleicht auf optischem Wege von dem unhaltbaren Zustand überzeugen zu können:
Zu diesem Zweck öffnete ich den Kleiderschrank und ließ ihn durch eine Ritze in
der Rückwand einen Blick auf das Fest werfen. Denn hinter dem Schrank befindet
sich ein Loch in der Mauer von der Größe eines Bullauges in einer Kabine
zweiter Klasse. Er sah eine Weile hindurch, aber alles, was er von sich gab,
als er aus dem Schrank stieg, war ein Grunzen der Kenntnisnahme. Dann ging er,
und als ich einige Stunden später — als es nämlich wieder tobte — durch das
Loch sah, war der Hauswirt ein überzeugter Teilnehmer des Atelierfestes.
Ein wenig verstört ging ich im
Wohnzimmer auf und ab, aber wie immer bei solchen Anlässen erschwerte mir die
strenge, unverrückbare Anordnung der Gegenstände meinen Pendelweg. Schon bei
leichtem Anstoß klirrte das Bleikristall in den Regalen, der Teakholztisch wackelt,
obgleich ich dauernd Zigarettenschachteln unter die Füße lege, und die
leichtfüßige finnische Vase kippt bei geringster Gelegenheit um, als sei das
ihre Funktion. Schließlich blieb ich vor dem Druck von Picassos »Blauer Jugend«
stehen. Wie großartig, dachte ich, sind doch diese originalgetreuen
Wiedergaben, wie raffiniert die moderne Reproduktionstechnik. Auf diese und
ähnliche Art werden nämlich nach solchen Ärgernissen meine Gedanken in andere
Bahnen geleitet, und besänftigt, wenn nicht gar geläutert, gehe ich dann zum
Kühlschrank, um ein Glas kalten Pfefferminztee zu genießen, ein vorzügliches
Getränk für solche Zustände: Jeder kleine Schluck bestätigt, daß ich im Kampf
gegen die Auflehnung wieder einmal den Sieg davongetragen habe. Danach lege ich
gewöhnlich, wenn auch nicht immer, eine Patience.
Denn in dieser Wohnung, die ich schon
lange als meine eigene betrachte, scheinen sich die Bräuche durch meine
Übernahme nicht geändert zu haben. Sie haften an Einrichtung und Ausstattung.
Die Atmosphäre bedingt die Handlungen der Bewohner, und oft habe ich gar das
Gefühl, ich müsse in irgendein sachliches Büro gehen, jedoch die Ausführung
dieses Gedankens scheitert an meiner mangelnden Entschlußkraft; zudem weiß ich
nicht, welcher Art das Büro sei. Aber es ist schließlich noch nicht aller Tage
Abend, wie ich oft — wenn auch vielleicht nicht ganz richtig — zu mir selbst
sage.
Immer seltener schaue ich durch das
Loch. Ich bemerke, daß der Menschenbestand drüben wechselt. Gäste, die am
Anfang dabei waren, sind inzwischen gegangen, andere dafür gekommen. Manche
scheinen sich sogar verdoppelt zu haben, wie zum Beispiel der Dichter Benrath , den ich ständig an zwei Stellen zu gleicher Zeit
zu sehen vermeine: eine seltsame, beinahe tendenziöse Augentäuschung! Ich
bemerke, daß Gerda Stoehr
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