Lieblose Legenden
vergoldeten Rahmen. Beide stellten
Hochgebirgslandschaften dar, mit Schneebergen, Almhütten und heimkehrenden
Holzfällern. Der einzige wesentliche Unterschied war der, daß die eine
Landschaft im Lichte der untergehenden Sonne erstrahlte, während sich über der
anderen ein Gewitter zusammenzog. Bei ihrem Anblick wurde mir sofort klar, daß
sie »Alpenglühen« und »Vor dem Sturm« heißen mußten.
Mein Onkel schlug vor, ich solle die
Bilder sogleich aufhängen. Mir fiel kein Vorwand ein, dies nicht zu tun, und
ich hängte sie auf, während er mir dabei zusah. »Die Bilder heißen übrigens
>Alpenglühen< und >Vor dem Sturm<«, kommentierte er. »Richtig«,
sagte ich, »ich wollte dich soeben nach den Titeln fragen .«
Später öffnete ich eine Flasche
Portwein und wir unterhielten uns. Als wir beim zweiten Glas saßen, kam Roeder . Roeder , ein Freund von
mir, ist ein Maler moderner Richtung, von dem ich einige Tage zuvor ein Bild
erworben hatte. Sein Besuch kam mir ungelegen, denn ich hatte, aus irgendeinem
Grunde, sein Bild noch nicht gehängt, und nun hingen an seiner Stelle die
beiden großen Landschaften.
»Ah, sieh da«, sagte er in einem
Tonfall zweifelnden Staunens, nachdem er uns beide begrüßt hatte und nun auf
die unglückseligen Bilder zuging, »>Alpenglühen< und >Vor dem
Sturm< .« — »So heißen sie tatsächlich«, sagte mein
Onkel verwundert. Ich erklärte Roeder , indem ich ihn
dabei vielsagend anzusehen suchte, daß ich die Bilder soeben von meinem Onkel
als Geschenk erhalten habe. Darauf aber schien dieser nicht eingehen zu wollen:
er murmelte immer wieder mit abwesender Miene: »Sehr schön, sehr schön«, und
ich hatte das Gefühl, daß hinter der Abwesenheit bübische Gedanken arbeiteten.
Ich fand sein Gebaren überaus taktlos und war deshalb froh, als er sich kurz
darauf verabschiedete. An der Tür klopfte er mir freundschaftlich auf die
Schulter. Auch dies war sonst nicht seine Art gewesen. Mir wurde sehr
unbehaglich zumute, meine Schulter blieb für den Rest des Abends von diesem
Klopfen beschwert.
Mein Onkel dagegen blieb, bis die
Flasche leer war. Als er ging, atmete ich auf: der Moment war gekommen, die
Bilder abzunehmen und Roeders Abstraktion
aufzuhängen; aber ich fühlte mich plötzlich mutlos und merkwürdig gelähmt. Es
mochte die Nachwirkung des Besuches gewesen sein, oder vielleicht hatte mich
der Wein ermüdet. Port macht träge. Jedenfalls erschien mir das Ersteigen der Leiter und das Auswechseln der Bilder als ein gewaltiges
Unterfangen. Ich unterließ es.
Am nächsten Morgen wurde eine große
Kiste gebracht. Ich hatte soeben mein Werkzeug geholt, um das Umhängen der
Bilder vorzunehmen. Aber nun benützte ich es, um die Kiste zu öffnen. Zuoberst
lag ein Brief. Er war von Roeder und lautete:
Lieber Robert!
Hiermit schicke ich Dir einige
Gegenstände, von denen ich annehme, daß sie Deiner Geschmacksrichtung
entsprechen.
Herzlichst Dein Roeder
Nichts Gutes ahnend, ging ich ans
Auspacken. Zuerst kam, in Holzwolle eingewickelt, eine Porzellanvase, sie
stellte einen buntgefiederten Kranich dar, dessen weitgeöffneter Schnabel zum
Hineinstecken der Blumenstengel vorgesehen war. Daneben lag, zwischen Schichten
von Seidenpapier, ein Strauß künstlicher Rosen und eine Tischlampe, bestehend
aus einer nackten weiblichen Figur aus Gußeisen, die auf ihrer Schulter eine
Glühbirnenfassung trug und einen Drahtschirm, mit grüner Seide in Rüschen und
Falten bespannt.
Angesichts dieser Gegenstände
verfinsterte sich meine Laune. Zwar ließ ich mich durch die Sendung nicht zu
dem Gedanken verleiten, daß Roeder etwa ernsthaft an
eine plötzliche Geschmackswandlung glaubte, aber ich fand, daß er in seinem
mutwilligen, kindisch-bewußten Mißverständnis zu weit gegangen sei. Wo sollte
ich denn mit den Sachen hin, in meiner Zweizimmerwohnung; einen Speicher oder
eine Rumpelkammer hatte ich nicht. Ich war noch dabei, über die
Geschmacklosigkeit dieses Scherzes zu brüten, als Sylvia kam. Sylvia ist
impulsiv und stets geneigt, den Eingebungen des Augenblicks bedingungslos zu
folgen. Darin geht sie oft zu weit, und das tat sie auch jetzt. Ihr klarer
Blick muß die Situation sofort überblickt haben. Aber anstatt mir zur Seite zu
stehen, tat sie so, als bestände die Schwierigkeit lediglich darin, einige
Neuakquisitionen günstig aufzustellen. Ohne ein Wort zu sagen, trat sie in
Aktion. Sie nahm eine Glühbirne aus einer Schublade, schraubte sie in die Lampe
und trug sie
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