Lieblose Legenden
in mein Schlafzimmer; sie ordnete die künstlichen Blumen
fraulich-liebevoll in der Vase, stellte sie auf ein Regal zwischen den Bildern,
trat ein paar Schritte zurück und betrachtete die Wirkung. Dann setzte sie sich
neben mich und streichelte meine Wange. Ich drehte mich unwillig zu ihr und
sagte: »Hör zu, Sylvia, das ist alles ein furchtbares Mißverständnis, ja sogar
beinahe eine Verschwörung. Diese Bilder hat mir mein Onkel gestern abend
geschenkt. Ich hätte sie nicht aufhängen sollen, aber leider habe ich es getan.
Dann kam Roeder und sah die Bilder. Daraufhin...«
Hier unterbrach sie mich und sagte: »Wozu die Entschuldigungen? Es ist doch
gleichgültig, wie du in den Besitz der Dinge gekommen bist. Jetzt gehören sie
dir .« Die Bedeutung dieser Worte war mir im Moment
rätselhaft, aber der Lauf der Dinge hat es mit sich gebracht, daß sie mir bald
klarer wurden. Manchmal denke ich, sie habe damals gesagt: »Jetzt gehören sie zu dir .« Jedenfalls muß es der Sinn ihrer Rede gewesen
sein.
Als sie ging, verabschiedete sie sich
von mir wie von einem Patienten, dem man den Glauben an Genesung nicht rauben
darf. Sie sah mir in die Augen, als wolle sie mir Mut einflößen, strich mir
noch einmal über die Wange, wandte sich jäh ab und war weg.
Aber schon am Nachmittag kam sie wieder
und brachte ihre Freundin Renate mit. Renate ging sofort in mein Schlafzimmer
und fing dort an zu hämmern. Sylvia indessen packte eine Anzahl Spitzendeckchen
aus und sagte, die wolle sie gleich auf die Armlehnen der Sessel legen, das
entspräche doch sicherlich meinem Geschmack. Überdies schonten sie auch den
Bezug. Ich war so entrüstet, daß ich kein Wort hervorbringen konnte. Sprachlos
sah ich zu, wie sie die Deckchen auflegte, glattstrich und mit Stecknadeln
befestigte. Dann zerrte sie mich ins Schlafzimmer, wo Renate soeben eine große
Schwarzwälder Kuckucksuhr angebracht hatte.
Das ging zu weit. Wütend machte ich
mich daran, das Ding von der Wand zu reißen, aber es war mit zwei Stahlhaken
befestigt, und als ich daran zog, schoß der Kuckuck heraus und schrie mir
sechsmal wütend ins Gesicht. »Ach, es ist schon sechs«, sagte Renate, »wir
müssen gehen .« Beim Abschied, den ich nur in einer Art
Versteinerung zur Kenntnis nahm, versicherte mir Sylvia, sie werde mir ein paar
schöne Tischdecken mit Kreuzstich sticken. Dann gaben mir beide einen
flüchtigen Kuß und liefen lachend die Treppe hinunter. Das Lachen klang in
meinem Ohr noch eine lange Zeit nach, es war, als lache ein Widersacher hinter
der Bühne, wenn der Vorhang schon gefallen ist.
Die Kreuzstichdecken kamen am
übernächsten Tag, aber es kam noch mehr. Ein mir befreundeter Architekt namens
Mons hatte mich den vorhergehenden Abend aufgesucht. Er habe, so hatte er
gesagt, durch Roeder von meinen Neuakquisitionen
gehört und sei gekommen, um sie sich anzuschauen. Ich hatte ihm — diesmal schon
in nervöser Erregung, der ich freien Lauf ließ — zu erklären versucht, daß
alles ein bösartiger Irrtum sei. Aber er hatte mich dabei nur beobachtend
angesehen, mit dem Ernst eines Diagnostikers, als versuche er, in meinen Mienen
noch weitere Symptome eines einsetzenden Übels zu entdecken. Das hatte meine
Erregung noch gesteigert, und als er mir beim Abschied die Hand gedrückt und
»Gute Nacht, alter Knabe«, gesagt hatte, schlug ich wütend die Tür hinter ihm
zu.
Und nun kam, mit einer Karte von ihm,
ein großes elfenbeinfarbenes Schleiflackgestell mit Regalen, die in mehreren
Höhen und nach mehreren Richtungen ragten. Ich wußte sofort, daß es zum Aufstellen
von Kakteen diene. Die Kakteen, verschiedener Größen und Formen, kamen auch
noch am gleichen Tag, sowie ein bebildertes Heft, betitelt »Der
Kakteenzüchter«. Mit einer Ruhe, die mich selbst befremdete, ordnete ich die
Kakteen in den Regalen und legte mir das Heft auf den Nachttisch. Diese Nacht
verlief unruhig. Der Kuckuck weckte mich mehrere Male. Wenn ich dann die Lampe
andrehte, fiel mein Blick auf das Bronceweib ; diesen
Anblick konnte ich nur schwer ertragen und nahm, um mich abzulenken, den »Kakteenzüchter«
vom Nachttisch, konnte mich aber für den Inhalt nicht — noch nicht — erwärmen,
legte das Buch wieder weg und drehte die Lampe ab. Ich hegte unfreundliche
Gedanken gegen meinen Onkel, gegen Roeder , Sylvia und
die ganze Gesellschaft. Bei diesen Gedanken schlief ich aber doch ein, bis mich
der Kuckuck wieder weckte.
Dieselbe Woche noch ertappte ich mich
mehrmals dabei,
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