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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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nüchtern — ihm seinen
»Herzog Theodor von Gotland« hin, den Grabbe einsteckt.
    Grabbe hat die Verwechslung niemals
bemerkt. Noch heute gilt das Drama als eines der Hauptwerke dieses Dichters.
Aber es ist von Pilz.
    Von 1823 bis 1840 lebt Pilz in Paris.
Im Jahre 1824 lernt er hier die Baronin Aurore Dupin-Dudevant kennen. Sie faßt sofort eine zärtliche
Zuneigung zu dem Fünfunddreißigjährigen. Pilz entzieht sich jedoch einer
Bindung und rät der — überaus geistreichen — Frau, Männerkleidung anzulegen,
sich George Sand zu nennen und Romane zu schreiben, was sie befolgt. Es sei
hier zugegeben, daß diese Handlung mit seinem Schaffen in merkwürdigem Zwieklang steht, und manch einer seiner Kritiker hat sie
als unbedacht, ja, verantwortungslos angeprangert. Tatsache ist, daß Pilz, von
dem dringenden — und verständlichen — Wunsch beseelt, die Aufmerksamkeit der
Baronin von sich abzulenken, wohl niemals ernsthaft glaubte, daß sie seinen Rat
befolgen werde. Als er seinen Irrtum einsah und ihr Chopin vorstellte, war es
zu spät; das heißt, sie blieb bei Chopin und der Literatur.
    Es war übrigens, was nicht allgemein
bekannt ist, Pilz, der im Jahre 1835 Chopin davon abgehalten hat, Frauenkleider
anzulegen und sich Aurore Dupin zu nennen. Auch diese Handlung hat ihm manch harte Kritik eingebracht, wenn
auch in diesem Falle seine Verteidiger, die nun einmal Mazurken ,
Etüden und Kunstwalzer nicht missen möchten, in der Überzahl sind.
    Bei einem gemeinsamen Opernbesuch mit
George Sand lernt er 1828 Meyerbeer kennen, mit dem er sich bald darauf
anfreundet. Schon bei der ersten Zusammenkunft versucht Pilz ihn zu überzeugen,
daß er, Meyerbeer, seine Bestimmung verfehlt habe. Meyerbeer jedoch ist nicht
zu überzeugen. Er behauptet, daß ihm auf keinem anderen Gebiet ein ähnlicher
Erfolg beschieden wäre, und daß er dem Publikum gäbe, was es sehen und hören
wolle. Pilz erkennt bald die Nutzlosigkeit seiner Versuche und bietet ihm nun
eines Abends Grabbes »Lustige Weiber« zur Vertonung an. Nach eingehendem
Studium des Manuskriptes lehnt Meyerbeer ab, da das Libretto nicht genug
Aufwandmöglichkeiten biete.
    Darauf beschließt Pilz, es an Beethoven
zu senden, und schreibt seinen dritten Brief (datiert 22. November 1828). »Ich
habe übrigens kürzlich«, so heißt es darin, »Ihre fünfte Symphonie gehört.
Nicht übel, gar nicht übel! Dennoch ist es meine Meinung, lieber Meister, daß
Sie sich einmal heiteren Dingen zuwenden und ein wenig Ferien vom Titanischen
nehmen sollten. Vergessen Sie einmal Ihre tragische Existenz, sintemalen sie doch auch sehr anstrengend seyn muß! Wie wäre es mit einer Oper über die lustigen
Weiber von Windsor? Das Textbuch ist fertig !« — Der
Brief kam unbeantwortet zurück, denn Beethoven war 1827 verstorben.
    Auch bei Berlioz hatte Pilz mit Grabbes
Textbuch keinen Erfolg, und so hat er es denn, nachdem er einige Theoriestunden
genommen hatte, im Jahre 1837 unter dem Pseudonym Otto Nicolai selbst vertont.
    1836 steht Gottlieb Theodor Pilz auf
der Höhe seines Wirkens. Es ist nicht nur das Jahr, in welchem es ihm nach
hartem Ringen gelingt, Delacroix die Idee einer Reihe von Kolossalgemälden
verschiedener Urwaldszenen auszureden, sondern er schreibt auch zwei Briefe.
Beide sind an Meyerbeer gerichtet, der damals vorübergehend in Berlin weilte.
Der erste Brief ist mehr reflektiver Natur. Er gibt
Zeugnis der makellosen Selbstkritik seines Verfassers, indem er auf die
Entwicklung seines künstlerisch-rezeptiven Gewissens eingeht, das er als
Ursache und Triebkraft seines retardierenden Wirkens darstellt. Zwischen den
Zeilen findet sich nochmals der zaghafte Versuch, dem Empfänger das dauernde
Opern-Komponieren abzugewöhnen. (Diese Versuche hat Meyerbeer, dessen hervorstechendste Eigenschaft sein echter Großmut war,
niemals übelgenommen.)
    Der zweite Brief ist äußerst
aufschlußreich und schildert Gottlieb Theodors unermüdliches Schaffen auf dem
Gebiet der Dämpfung. Der folgende Absatz sei zitiert: »Abends bei Rossini. Das
Essen war, wie immer, vorzüglich. Unter anderen köstlichen Dingen setzte er uns
ein Tournedo vor, von dem Alfred (gemeint ist de
Müsset) mit Recht meinte, es allein würde genügen, um Rossinis Unsterblichkeit
zu begründen. Ich griff diesen, an sich großen, Gedanken auf und versuchte,
Rossini ernsthaft zu überreden, sich ausschließlich der Gastronomie zu widmen.
Er will es sich überlegen .«
    Diese wiederholten Versuche

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