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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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so
rückwärts die Stilentwicklung der Jahrhunderte durch;
er hatte sich ein homerisches Epos zusammengeschrieben, als ihm der Tod, der
ergeben gewartet zu haben schien, bis er bei den Ursprüngen angelangt war, die
Feder aus der Hand riß. Zwischen diesen Werken verfertigte Hardemuth von Zeit zu Zeit kleine Aufsätze für Wochenzeitschriften, in welchen er die
stille Einfachheit des Landlebens pries, die Unverdorbenheit der Landbewohner,
die Schönheit der Berge zu verschiedenen Jahreszeiten und die würdevolle
Einfalt des Viehs. Unter der Treibkraft gekränkter Eitelkeit gehen selbst geniale
Menschen oft zu weit. Denn es muß leider gesagt werden, daß diese Artikel,
zweifelsohne in Augenblicken diabolischer Genugtuung abgefaßt, vom Publikum
durchaus ernst genommen wurden, ja, es sah eine Zeitlang so aus, als drohe von
seiten der gebildeten Schichten eine ernsthafte Rückkehr zur Natur. Aber dazu
kam es nicht, so weit reichte selbst der Einfluß eines Hardemuth nicht.
    Einmal noch versuchte sich Hardemuth als Alphons Schwerdt ,
und zwar in einem recht abgeschmackten Artikel, in dem es hieß, daß der ganze
bäuerliche Tand zu nichts anderem diene, als den Besuchern eine abgeklärte
Beschaulichkeit vorzutäuschen, die in Wirklichkeit nichts anderes sei als ein
eitles Lügengebäude: der Gutsbetrieb sei nur zum
Schein bewirtschaftet, das Gesinde werde von stellungslosen Schauspielern
dargestellt, und die Herden seien durchsetzt mit Rindviehattrappen aus bemaltem
Sperrholz. Dieser allerdings wirklich lächerliche Angriff löste nur mehr
Erheiterung aus. Man betrachtete ihn — gewissermaßen mit Recht — als das erboste,
impotente Wettern eines Zwerges gegen einen Giganten. Schwerdt ist daraufhin als Schwerdt ein für allemal verstummt.
    Nun aber kam es so, daß Hardemuth — denn so dürfen wir ihn von jetzt an nennen — sich
mit zunehmendem Alter mehr und mehr in seine titanische Rolle einfühlte und
seine frühere Existenz zu vergessen, oder wenigstens zu verdrängen begann.
Nicht nur ermöglichte ihm die im Lauf der Zeit erworbene Fertigkeit, in seiner
Lyrik von einer Stilepoche zur anderen zu springen — wahrhaft ein Rhapsode des
Eklektizismus! — sondern er paßte nun auch das tägliche Leben seinem Dichtertum
an. Die zahlreichen Besucher empfing er in einem hohen Lehnsessel sitzend, eine
Toga um die Schultern und ein Plaid über den Knien, in einer Pose also, die er
den traditionellen Darstellungen von Dichterfürsten entnommen hatte, die sich
bekanntlich, um ihre Unsterblichkeit zu wahren, gegen Zugluft schützen müssen.
Auch umgab er sich mit Jüngern und Jüngerinnen, die zu seinen Füßen auf Kissen —
er nannte sie Jüngerkissen — saßen und ihn mit »Meister« anredeten. Ein
Porträt, wenige Jahre vor seinem Tode gemalt, zeigt ihn auf seinem Sessel,
einen Federkiel in der linken, eine Pergamentrolle in der rechten Hand; über
sein Gesicht huscht ein bitter-feines Lächeln, gleichsam als verzeihe er dem
Betrachter schon im voraus sämtliche Fehlurteile, die er über ihn, Hardemuth , in Zukunft äußern möge. Dieses Bild befindet
sich in meinem Besitz. Ich habe es von einer staatlichen Galerie äußerst
günstig erworben, zu einer Zeit, in welcher sich Hardemuth — nicht lange nach seinem Tod — als mit Schwerdt identisch entpuppte und daraufhin bei der Öffentlichkeit, die sich peinlich
betrogen fühlte, in posthume und endgültige Ungnade fiel.
    In wenigen Jahren wird Hardemuth der Vergessenheit anheimgeraten sein, ein Schicksal, dem nun einmal die wenigsten literarischen
Nobelpreisträger zu entgehen scheinen. Damit ist dann auch das Andenken Schwerdts ausgelöscht, denn die beiden heben einander
gegenseitig auf.

Die zwei Seelen
     
     
     
     
     
     
    Vor kurzem berichtete die Tagespresse
von einem Rechtsfall, der nicht nur Juristenkreise, sondern auch das
literarisch interessierte Publikum den Atem anhalten ließ. Der Dichter Hubertus
Golch hatte den Kritiker Eduard Wiener, der sich anläßlich der Uraufführung
seiner Tragödie » Orestes « über ihn und sein
Dramenwerk in sehr abfälliger Weise geäußert hatte, wegen infamer Beleidigung
verklagt. Wiener, so hieß es, habe unsachliche Motive geltend gemacht, indem er
geschrieben habe, daß heutzutage die Familie Agamemnons für alles herhalten
müsse, was ein Dramatiker zu sagen habe, und in diesem Falle auch für das, was
er unter einigem Aufwand von Takt und Selbsturteil besser verschweige. Golch
sei in einer Kette jämmerlicher

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