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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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wurden
schließlich von Erfolg gekrönt. Das » Tournedo à la
Rossini« (1836) hat zum Ruhm des Meisters mindestens so viel beigetragen wie
das sechs Jahre später entstandene »Stabat Mater«; tatsächlich sein letztes
Werk auf dem Gebiet der Musik. Hiernach hat er bis zu seinem Tode im Jahr 1868
keine Note mehr geschrieben, kein Instrument mehr angerührt und sich ganz der
Kochkunst gewidmet, die ihm manches Bleibende zu verdanken hat.
    Der nächste Brief, aus dem Jahr 1841,
ist an seine Waschfrau gerichtet und ist daher weniger aufschlußreich. Es
handelt sich darin um einige seidene Halstücher, die abhanden gekommen seien.
In die Cottasche Ausgabe ist er wohl lediglich der Vollständigkeit halber
aufgenommen.
    Während dieser Jahre wird Pilz in die
Jury der Académie des Beaux Arts gewählt, in welchem
Amt er dafür eintritt, daß das Los über Annahme oder Ablehnung der Bilder
entscheiden solle, da, wie er sagt, der Wert der eingesandten Werke es
gleichgültig mache, welche von ihnen man ausstelle und welche man refüsiere . Diesem Antrag wird allerdings nicht
stattgegeben, im Gegenteil: Pilz zieht sich dadurch den Haß einiger damals
bedeutender Maler zu, die heute in tiefer Vergessenheit schlummern und damit
Gottlieb Theodors Antrag posthum aufs beste rechtfertigen.
    Sonst sind über sein Wirken während
dieser Jahre wenig Einzelheiten bekannt. Aber es darf
angenommen werden, daß er unermüdlich gegen den künstlerischen Übereifer der
Zeit kämpfte, und es ist zum großen Teil ihm zu verdanken, daß die Zahl der
Werke jener Periode nicht überhandgenommen hat. Allerdings in seiner Existenz
eine Ursache für die kurze Lebensspanne einiger romantischer Meister von
potentieller Bedeutung sehen zu wollen, was so viele Kritiker des späteren
neunzehnten Jahrhunderts tun zu müssen glaubten, ist abwegig. Ihnen sei
zugerufen: auch die Kunst Eurer Zeit hätte durch einen Dämpfer vom Formate Pilzens nicht gelitten!
    Die Jahre von 1842 bis 1850 verbrachte
Pilz auf Reisen in Italien, der Schweiz und Deutschland, wo er Schumann und
Mendelssohn begegnete, denen er seine Theorie, nach welcher ein Komponist nicht
mehr als vier Symphonien schreiben solle, mit Erfolg vortrug. Diese Theorie hat
er schriftlich nicht niedergelegt, ihr Wesen ist daher leider nicht mehr
bekannt, und es muß sogar befürchtet werden, daß sie nicht ernst gemeint ist.
Dennoch haben diese beiden romantischen Meister sie befolgt. Das Symphonien-Opus
beider beschränkt sich auf vier, und Schumann hat sogar Brahms in dieser
Richtung mit Erfolg beeinflußt.
    In das Jahr 1849 fällt Gottlieb
Theodors letzter Brief. Er ist in München geschrieben und an George Sand
gerichtet. Dieser Brief kann als Abschluß und Bilanz seines Wirkens betrachtet
werden und ist vielleicht derjenige, der uns heute am meisten berührt, nicht
nur wegen der darin geprägten Maxime »Mehr Worte, weniger Taten !« — welcher denkende Mensch fürwahr wollte nicht, daß sie
mehr Gültigkeit gewonnen hätte!? — sondern vor allem wegen der bescheiden-resignierenden
Manier, in welcher Pilz sich Rechenschaft über seine Erfolge und Mißerfolge
ablegt, indem er sein Leben als nicht wirksam genug hinstellt, um gegen den
ungeheuren Schaffensdrang der Zeit anzukämpfen. Zwischen den Zeilen klingt die
Enttäuschung, daß er keine Schüler hinterläßt, die in seinem Sinne
Weiterarbeiten. Noch heute liest man den Brief mit Anteilnahme, ja, sogar nicht
ohne Rührung.
    1852 kehrt Pilz nach Paris zurück, wo
er seine letzten Jahre mit Besuchen bei verschiedenen großen Männern verbringt,
die er durch geistvolle Gespräche von ihrem Schaffen abhält. Seine eigenen jours fixes haben einen beinahe sagenhaften Nimbus
erhalten.
    Am zwölften September 1856, bei einer
seiner Abendgesellschaften, ereilt ihn sein dramatischer Tod. Er hat die
letzten Tage damit zugebracht, Racines Tragödien zu einem Einakter
zusammenzustreichen, um, wie er hofft, die Wirksamkeit dieses Dichters
zumindest für einige Dekaden zu retten. Aus dieser Fassung rezitiert er den
großen Monolog der Phaedra . Plötzlich sinkt er leblos
zu Boden. Die Anwesenden klatschen Beifall. Sie glauben, diese Geste kröne den
Vortrag. Erst allmählich überzeugen sie sich unter großer Erschütterung von dem
Ableben des Siebenundsechzigjährigen. Der zu spät herbeigeeilte deutsche Arzt konstatiert
Schlagfluß als Resultat eines vernachlässigten hitzigen Frieselfiebers.
    Gottlieb Theodor Pilz hat viele
Kritiker gefunden, die nicht

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