Lieblose Legenden
müde werden, seine hemmende Wirkung auf die
organische Entfaltung der Romantik immer wieder anzugreifen. Man mag zugeben,
daß — da die Nicht-Existenz der von ihm verhinderten Werke eine Beurteilung
derselben natürlicherweise unmöglich macht — manche von ihm im voraus
verworfene Arbeit sich vielleicht bis in unsere Zeit hinein hätte halten
können. Und dennoch hat sich seine Erscheinung auf allen Gebieten der Kunst
wohltuend, ja erlösend bemerkbar gemacht. Wie viel ist uns durch ihn, den
Großen, Einzigen erspart geblieben! Zu früh ist er gestorben, und wir können
nicht umhin, festzustellen, daß auch heute ein Pilz am Platze wäre.
Auf seinen ausdrücklichen, kurz vor dem
Tode geäußerten Wunsch hat man Gottlieb Theodor Pilz keine Denkmäler gesetzt,
sondern seine gesamte Hinterlassenschaft begeisterungsfähigen, jedoch
wenigbegabten jungen Menschen zukommen lassen, im Tausch gegen das Versprechen,
fürderhin von schöpferischer Arbeit abzusehen. Leider sind diese Mittel seit
langem erschöpft, und damit ist der Geist Gottlieb Theodors erloschen. Und so
waren es denn auch nur wenige Wissende, die sich an seinem Todestag zu einer
schlichten Feier am Grabe dieses großen Mannes einfanden.
Bildnis eines Dichters
Der vor einigen Jahren verstorbene
Lyriker Sylvan Hardemuth stellt eine der merkwürdigsten Erscheinungen der Literaturgeschichte dar. Denn
man darf den Fall eines Mannes, den Verkennung zum gefeierten Lyriker machte,
wohl als seltsam, wenn nicht gar als einzigartig betrachten.
Hardemuths eigentlicher Name war Alphons Schwerdt . In jungen Jahren bereits offenbarte sich seine
außergewöhnlich klare Urteilskraft in literarischen Dingen. Er nützte sie, um
in scharfsinnigen kritischen Aufsätzen gegen einige ausgewählte Dichter der
Jahrhundertwende zu Felde zu ziehen, die er auch tatsächlich bald zum Schweigen
brachte. Daraufhin verstummte zunächst auch er, denn er hatte sich seiner Opfer
beraubt. Da sich nun vorerst keine anderen zu bieten schienen — denn gegen die
allgemeine Tendenz der damaligen Literatur hatte er nichts einzuwenden, oder
vielmehr: sie interessierte ihn nicht — beschloß er, seine eigene Lyrik zu
schreiben, welcher er nun genau die Mängel anhaften ließ, durch deren kritische
Beurteilung die Kunst seiner bösartigen Feder ins beste Licht gerückt würde.
Er legte sich also den Künstlernamen Sylvan Hardemuth zu und schrieb
eine Gedichtsammlung. Ihrem Erscheinen folgte in der damals führenden
literarischen Zeitschrift eine vernichtende Kritik von solcher Brillianz , daß die Leser Hardemuths Gedichte gierig verschlangen, um den vollen Gehalt der Schwerdtschen Würdigung — wenn man es so nennen will — voll auskosten zu können.
Ein Jahr darauf erschien ein weiterer
Gedichtband Hardemuths , dem sofort eine Besprechung
von Schwerdt folgte, die auf dem Gebiet der
kritischen Literatur geradezu als epochemachend bezeichnet werden muß. Dieser
Vorgang wiederholte sich auch im folgenden Jahr und versprach, eine feste
literarische Institution zu werden, aber diesmal schlug die Sache fehl, indem
das Publikum, auf dessen Gunst nun einmal kein Verlaß ist, an den Gedichten
Gefallen fand: die Besprechung, obgleich geistreicher denn je, stieß auf kühle
Ablehnung: man stellte fest, daß sie dialektisch zwar meisterhaft, als Analyse
jedoch ungerecht und kleinlich sei. Darauf war Schwerdt nicht vorbereitet gewesen, und in seinem nächsten Gedichtband wählte er einen
Stil, den man selbst vom damaligen Standpunkt aus nur als krasses Epigonentum
ansprechen kann. Das Publikum aber war begeistert, und über die bald darauf
erscheinende Kritik wurden bereits Stimmen der Empörung laut.
Der erbitterte Schwerdt ließ daraufhin Hardemuth eine Sammlung neobarocker
Sonette schreiben: vergebens; Hardemuth war der
Liebling des Publikums geworden -welches sich nun auf einmal in seiner Gunst
beständig zeigte — und genoß den ganz und gar unerwünschten Nimbus des großen
Dichters. Sein Ansehen wurde durch den Umstand, daß er persönlich niemals in
Erscheinung trat, noch erhöht. Im Jahre 1909 erhielt er, wie sich mancher Leser
erinnern mag, den Nobelpreis.
Das war zuviel für Schwerdt .
Entmutigt und verkannt, beschloß er, die Scheinexistenz des erfundenen Dichters
ad absurdum zu führen. Als Sylvan Hardemuth kaufte er sich ein Bauerngut mit Äckern, Stallungen, Vieh und allem Zubehör.
Hier lebte er, verfaßte einen Gedichtband nach dem anderen und ging
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