Lied der Wale
bestand kein Zweifel mehr daran. Ich liebe dich, dachte Leah, und du wirst es nie erfahren, genauso wie Geoffrey nie erfahrenwird, dass ich ihn deinetwegen verlasse. Ich muss in irgendeinem früheren Leben etwas verbrochen haben, warum sonst will der Mann, dem ich mein Herz schenke, es nicht haben?! Timothy hatte meine Liebe wenigstens mit Füßen getreten, du nimmst sie nicht einmal wahr.
Aussichtslos wäre es ohnehin.
Er auf See, sie bei ihrem Kind ... nein, sie würde sich die wenigen verbleibenden Tage zusammennehmen, ihm auch ein wenig aus dem Weg gehen. Möglicherweise würde sie es ihm doch sagen, was hatte sie schon zu verlieren? Beim Abschied vielleicht. So hätte er keine Gelegenheit, sie wieder zurückzuweisen. Bis dahin musste sie durchhalten.
Leah schreckte hoch, als eine Hand ihre Schulter berührte.
»Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Wenn du was essen willst, wir sitzen alle in der Messe.«
»Ja. Danke. Ist David wieder an Bord?«
Sam nickte, und ihm war anzusehen, dass ihn die Frage nach David nicht eben glücklich stimmte. Leahs Antennen empfingen die Botschaft, doch es war ihr einerlei. Im Moment des Aufschreckens hatte sich plötzlich die Lösung ihres Problems offenbart. Sie musste das Schiff so schnell wie möglich verlassen. Am besten sofort. Es wird sich sowieso nichts ändern, warum das Leid bis Dutch Harbour ertragen?
Blanke Illusion, David aus dem Weg gehen zu können, unmöglich, weiter ihre Liebe zu unterdrücken, undenkbar, es ihm zu offenbaren, selbst wenn er die Zurückweisung diesmal aus Rücksicht besser kaschierte. Sie würde es in seinen Augen lesen können.
Es hatte Vorteile, feige zu sein. Sie würde sich damit einiges ersparen. Und David sicher auch.
»Er ist in seiner Kabine. Hat keinen Hunger. Sag mal, braucht ihr alle keine Nahrung zum Leben?«
»Ich esse immer am Ende des Monats. Spart Zeit.«
Damit stapfte sie von dannen, um Steve mitzuteilen, dass sie ihn begleiten würde, und anschließend David ihren Entschluss bekanntzugeben. Bevor sie ihn bereute. Und sicher wieder ins Schwanken geriet.
D avid empfing sie mit einem strahlenden Lächeln. »Ich hab mit Govind über deinen Vorschlag gesprochen.«
»Und?« Die Neugier siegte über den Vorsatz, ihn sofort von ihrer Abreise in Kenntnis zu setzen. Auch wenn sie an dem Projekt nicht mehr beteiligt wäre, so hielt sie den Einfall für einen ihrer besten.
»Er hat nur gefragt, weshalb wir darauf nicht früher gekommen sind. Technisch kein Problem. Und der Aufwand hält sich in Grenzen, das meiste lässt sich über Programme automatisieren. Wir werden das angehen, Leah. Vielleicht habe ich wirklich jemanden wie dich gebraucht, der mich ein bisschen anschubst.«
Jemanden wie mich hieß nicht mich . Sie schwankte zwischen der Freude, dass er ihren Vorschlag umsetzen wollte, und der Enttäuschung, akzeptieren zu müssen, dass David sich für ihren Einfall interessierte, aber nicht für sie.
Sein Lachen verschwand so schnell, wie es gekommen war. »Ich habe in den letzten Stunden viel nachgedacht, Leah.«
»Wegen der Patenschaften?«
»Auch. Nein. Ich ... Leah, ich ...« Er nahm ihre Hand in die seine, und ihr Puls fing an zu galoppieren. Jetzt, gab die innere Stimme den Startschuss. Sag es ihm. Sag, dass dein Koffer gepackt ist, dass du zu deinem Sohn musst, dass du es in seiner Nähe, ohne ihn lieben zu dürfen, nicht mehr aushältst und umgekehrt, falls er deine Gefühle erwidern würde, das Desaster vorprogrammiert wäre. Wie könnte ich dann auf ihn verzichten?Nein, ist besser so, besser für uns beide und vernünftiger allemal, leb wohl, David, wir bleiben in Kontakt.
»Leah. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ich denke, du solltest wieder nach Hause fliegen. Bald.«
Es war wie ein Schlag in den Magen. Gewaltig. Unerwartet. Obwohl er nur das aussprach, was auch sie sich zurechtgelegt hatte. Und sie konnte sich nicht einmal einen Reim darauf machen, wieso er sie so plötzlich loswerden wollte.
»Was hab ich getan?«
»Du? Du hast gar nichts getan. Ich spreche nicht von dir.«
»Und wen schickst du gerade von deinem Schiff?«
Er hielt sie mit seinen Augen in Bann, während er ihre Hand sanft und voller Zärtlichkeit streichelte.
»Du merkst, was hier passiert. Es wird nicht funktionieren.«
Ihre Finger erwiderten seine Liebkosung, obwohl ihr Verstand ihm recht gab und ihr diktierte, Abstand zu halten.
»Wieso, du kennst mich gar nicht.«
»Aber ich kenne mich. Einer muss die Notbremse
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