Lied der Wale
was Geoffrey betraf, in einen unangenehmen Loyalitätskonflikt bringen.
Und so vergingen die nächsten zwei Wochen in einer angenehmen Routine, von der sich Leah nie mehr trennen wollte. Sie hätte niemals geglaubt, dass David sich so schnell erholen würde. Sie zogen jeden Abend vor dem Essen Seite an Seite ihre Runden durch den Park. Anfangs noch ein lockerer Spaziergang – dochinzwischen war daraus eine Joggingtour von zehn Kilometern geworden. David war um einiges älter als sie und trotzdem drauf und dran, sie an Kondition zu schlagen.
Mit ihrer Recherche blieb sie leider stecken, denn der Jemand von der Coast Guard ließ ihr durch die ganze Reihe von Jemands bis zu Susan zurück mitteilen, dass er nach Seattle versetzt wurde und sich um Umzug, neues Haus und neue Schulen für seine Kinder kümmern müsse, versprach aber, sich in ein paar Monaten wieder zu melden. Toll.
Geoffrey lächelte sie jeden Morgen an wie eine Sphinx und zeigte weiterhin Größe. Es gab sogar einen peinlichen Zwischenfall, als sie dummerweise mit David ein Lokal betrat, das Geoffrey, und das war ihr wirklich entfallen, auch gelegentlich besuchte. Sie sah ihn zu spät an seinem Tisch sitzen und wollte schnell kehrtmachen, aber Geoffrey hatte die beiden ebenfalls schon gesehen, stand auf und kam ihnen lächelnd entgegen.
»Geoffrey Wilbert«, sagte er, als er David die Hand reichte, »kommt an meinen Tisch, ich hasse es, allein zu essen.«
Leah war dabei, eine passende Entschuldigung zu formulieren, aber da packte David sie schon am Arm und zog sie hinter sich her. Natürlich bekam sie keinen Bissen runter, saß mit eingefrorenem Lächeln versteinert da und hörte zu, wie die beiden sich vergnügt unterhielten, als hätten sie schon vor Ewigkeiten gemeinsam in den Sandkasten gepinkelt. Nach qualvollen anderthalb Stunden und wiederholtem »Willst du wirklich nichts essen, schmeckt köstlich«, erfand sie einen unerträglichen Bauchkrampf und bat David, mit ihr nach Hause zu gehen. Galant wie immer, übernahm Geoffrey die Rechnung und konnte sich nicht verkneifen, sie und David erneut zum Essen einzuladen.
»Das müssen wir unbedingt bald wieder machen, David«, sagte Geoffrey zum Abschied.
»Unbedingt, Geoffrey«, antwortete David.
Aber nicht in diesem Leben, fluchte Leah innerlich, die nichts als raus wollte.
Wieder auf der Straße, passierten sie das Fenster des Restaurants, an dem Geoffrey saß, und sie sah ihn, der eben noch vergnügt Bye-bye gewinkt hatte, wie ein Häufchen Elend die Wand vor sich anstarren. Und ihr kamen die Tränen.
»Es musste sein«, hörte sie David sagen.
»Du wusstest, wer er ist, warum das Theater?«
»Es wäre schlimmer für ihn gewesen, wenn wir seine Einladung nicht angenommen hätten. Glaub mir, wir Männer müssen beweisen, dass wir über der Sache stehen, die Fassade ist manchmal das Einzige, was uns noch aufrechthält. Er ist übrigens ein sehr netter Kerl, Leah, ein bisschen zu parfümiert, aber total in Ordnung.«
»Tu mir den Gefallen und sag nicht, ihr werdet jetzt Freunde werden.«
»Ich hab damit kein Problem, wenn er ...«
»David!«
»Soll ich mich mit ihm duellieren? O. k., ich geh zurück und schmeiß ihm die Serviette ins Gesicht.«
»Lass den Unsinn, kannst du nicht verstehen, wie schwer das für mich ist?«
»Leah«, David legte seinen Arm um ihre Hüften und drückte sie an sich. »Für mich ist es auch nicht einfach, aber wie lange willst du dich noch verstecken? Du hast Freunde, Familie, meinst du, mir ist nicht aufgefallen, dass ich bisher keinen davon getroffen habe?«
Als sie nach einer Rückfahrt, bei der sie kaum miteinander sprachen, zu Hause ankamen, erfuhr Leah, dass sich dieses Manko plötzlich und unerwartet ändern würde. Auf dem Anrufbeantworter befand sich die Stimme von Michaels Betreuer aus dem Camp, der sie aufforderte, ihren Sohn umgehend abzuholen.Er und sein Spezi hatten mit ein paar Feuerwerkskörpern beinahe die Hütte, in der die Mädchen untergebracht waren, in Brand gesteckt.
»Na, da bin ich ja auf deinen Sohnemann gespannt.« David lachte, während sie mit zitternden Knien ins Bad eilte, denn die Magenkrämpfe, die sie beim Italiener noch vorgetäuscht hatte, quälten sie nun wirklich.
S ie erreichte das Camp um die Mittagszeit. Die beiden Jungs fühlten sich ungerecht behandelt, es war nicht ihre Idee gewesen, Feuerwerkskörper anzuzünden, die Mädchen hatten darauf gedrängt, warum sollten nur sie bestraft werden? Die Eltern von Michaels
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