Lied der Wale
bin ich also«, sagte David, nachdem er ihren Kuss erwidert hatte. Leah konnte nicht fassen, dass sie ihn endlich in ihren Armen hielt. Sie hatte sich den Freitag freigenommen, und auch falls Geoffrey den wahren Grund ahnte, ließ er sich nichts anmerken. Auf der Fahrt nach Hause lenkte sie den Wagen mit der linken Hand, die rechte war mit Davids Händen verflochten. In den knapp drei Wochen, in denen sie getrennt waren, war das Telefon zum akustischen Ersatz für körperliche Nähe geworden, und Leah hatte die Anschaffung eines neuen Wagens erst einmal verschoben, bis sie die nächste Telefonrechnung bekommen würde.
David hatte nichts bei sich außer einer Plastiktüte. Darin befanden sich eine Zahnbürste, das Rasierbesteck, das ihm das Krankenhaus geschenkt hatte, und sein Krankenbericht für den Arzt in Washington, den Dr. Fletcher für ihn ausgesucht hatte, falls wider Erwarten Beschwerden auftreten würden. Sonst trug er alles, was er noch besaß, am Körper, und auch das war ihm von einer Hilfsorganisation aus Anchorage gespendet worden. Also stoppte sie an der Mall, und trotz heftiger Proteste besorgte sie ihm eine neue Garderobe.
»Ich fühl mich wie ein Zuhälter, so von dir ausgehalten zu werden«, brummelte er, als die beiden mit voll bepackten Einkaufstüten in den Wagen stiegen.
»Prima, ich bin Leah la Douce und du Jack Lemmon. Jetzt fahren wir in notre Liebesnest und machen Amour fou.«
»Das mit der Amour fou sagt sich so einfach, ich steh noch auf ziemlich schwachen Beinen.«
»Mir wird schon was einfallen«, antwortete sie bedeutungsvoll, und David rutschte schmunzelnd näher und küsste ihren Hals, weshalb sie die Ampel überfuhr, die völlig überflüssigerweise gerade auf Rot gesprungen war.
Zu Hause angekommen, wollte sie ihm gleich etwas kochen, ihn pflegen und verwöhnen, doch David war offensichtlich stärker als vermutet, denn als er in sein übergroßes Handtuch gehüllt aus der Dusche kam, hob er sie kommentarlos in die Höhe und trug sie ins Schlafzimmer. Das sie bis Sonntagabend nicht mehr verließen, außer um sich gelegentlich mit Snacks aus dem Kühlschrank zu versorgen. Am Ende blieben nur noch ein paar Schachteln mit Müsliriegeln übrig, die nicht mehr in Michaels Gepäck gepasst hatten.
»David, Krise! Wir haben seit zwei Tagen nicht die Wohnung verlassen, wir müssen frische Luft schnappen, was Anständiges zum Essen kaufen ...«
»Halber Schokonuss gegen Erdbeer mit Sahne?«, fragte David und tauschte mit ihr seinen angebissenen Riegel.
»Hörst du, was ich sage?«, versuchte es Leah erneut.
»Hmm, deiner schmeckt besser, willst du ihn zurückhaben?«
»David!«
»Mir fällt gerade ein, du hast mir nie gesagt, dass du mich liebst.«
»Was ist nur mit euch Männern los, genügt es nicht, wenn man es zeigt? Komm, ab unter die Dusche, und dann gehen wir raus«, sagte Leah und wollte aus dem Bett steigen, aber David schnappte sie und zog sie zurück.
» Ich liebe dich, ich will mit dir leben, ich will mit dir alt werden,außer natürlich ich krieg immer Schokonuss und du Erdbeere mit Sahne, dann verlass ich dich für ’ne Jüngere und lass mir die Zunge piercen. Jetzt bist du dran.«
»Mach mir nichts vor. Was, wenn du fit bist und wieder in See stichst?«
»Womit, Leah. Womit?« Er lachte leise, aber seine eben noch fröhlich leuchtenden Augen waren jetzt voller Wehmut. Sie hätte die Frage besser nicht stellen sollen. Die Realität, vor der sie sich seit seiner Ankunft bewusst gedrückt hatte, brach plötzlich in ihre Zweisamkeit ein. Doch das machte nichts. Die zwei Monate waren auch für ihn eine Menge Zeit, um sich über vieles klar zu werden.
»Schluss jetzt«, sagte sie und sprang aus dem Bett. »Wir gehen raus, ich muss an die Luft.«
David folgte ihr ins Bad, und sie seiften sich gegenseitig ein, was ein Fehler war, denn er zeigte ihr, dass man sich auch in der Duschkabine sehr bequem lieben konnte, und es dauerte eine weitere gute Stunde, bis sie tatsächlich aus dem Haus waren.
Am nächsten Morgen ging Leah zur Arbeit, und David zog los, um Führerschein, Pass und all die notwendigen Papiere, die jetzt in der »SeaSpirit« auf dem Grund des Ozeans lagen, neu zu beantragen. Sie verabschiedeten sich nach dem Frühstück wie ein verliebtes Ehepaar und verabredeten sich zum Abendessen beim Libanesen. Zuerst wollte sie Susan dazu einladen, damit sie David kennenlernte, doch dann verwarf sie die Idee schnell wieder, denn dadurch würde sie ihre Freundin,
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