Lied der Wale
bezauberndste Lächeln aus ihrem großen Repertoire. Es wirkte. Fergy war nun mal ein Mann der alten Schule: Kavalier, Computerhasser, Bleistiftfan und seit dreißig Jahren verheiratet, glücklich, wie es hieß. Aber immer empfänglich für das Lächeln einer Frau.
»Setz dich. Kaffee?«
»Nein, danke. Fish-Treasure – klingelt da was?«
Ferguson runzelte die Stirn und schloss kurz die Augen. »Japanischer Fischereikonzern, vom Schiff bis zur Konserve, in den Siebzigern viel Kohle mit Walfang gemacht, in den Achtzigern auf die heutige Größe gewachsen, so viele Tochterfirmen wie die Haare, die ich verloren hab, Präsident derzeit ...«
»Ich brauch nur eine Information«, stoppte Leah seinen Redefluss. Fergy war ein wandelndes Wirtschaftslexikon und die Antworten zum jeweiligen Stichwort selten kürzer als eine halbe Stunde.
»Bitte ...«
»Über FishGoods Inc. Eine der Tochterfirmen.«
Ferguson navigierte sofort durch seinen internen Wissensspeicher und wurde fündig. »Nichts Spektakuläres. Die haben vor ein paar Wochen einen Prozess gewonnen, gegen McGregor und die ›SeaSpirit‹-Bewegung. Du weißt, wen ich meine. Hat eines ihrer Schiffe gerammt.«
»Das war in eurem Artikel nur am Rande erwähnt. Habt ihr da noch mehr?«
Ferguson schmunzelte. »Ich kenne diesen Blick. Hast mal wieder Blut geleckt, was?«
Leah antwortete nicht. Welcher Blick?
»Nein, wir haben es eigentlich nur wegen seines Rufes mit reingenommen. Aber ich erinnere mich, dass uns am Tag, nachdem unser Artikel rausgekommen war, der Geschäftsführer von FishGoods anrief, Kazuki oder so ähnlich. Jaquie hat seine Nummer. Wollte uns einen Bericht über den Prozess abringen, na ja, war nicht interessant genug. Falls du da was machen willst, der frisst dir aus der Hand.«
Leah erhob sich. »Fergy, hast mir sehr geholfen.«
»Wie geht’s Michael? Ist sein Arm wieder o. k.?«
Der Mann hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant. Als sie ihn das letzte Mal aufgesucht hatte, trug ihr Sohn einen Gips. Die Mountainbike-Eskapade lag schon über ein Jahr zurück. »Ja, alles in Ordnung.«
»Prima«, meinte Ferguson und war schon wieder in seine Notizen vertieft.
Leah saß noch nicht einmal hinter ihrem Schreibtisch, als sie schon die Nummer von Kazuki eingab. Das Unternehmen hatte seinen Sitz in Baltimore, das bedeutete zwei Stunden Autofahrt. Machbar. Wie nicht anders zu erwarten, meldete sich eine Sekretärin, bei der sie den Namen ihrer Zeitung und auch den von McGregor fallen ließ. Der kleine Appetizer verfehlte seineWirkung nicht, ein paar Augenblicke später hatte sie ihren Termin mit Kazuki. Noch am selben Tag! Sah ganz danach aus, als würde sie schon bald mehr über den neuen McGregor, den selbsternannten Robin Hood der Weltmeere, erfahren.
Den alten kannte sie noch zur Genüge aus der Zeit, als sie fast täglich über das Börsengeschehen berichtet hatte. McGregor, das Wall-Street-Genie, ein Frauenheld und Bonvivant, wie er im Buche stand.
Stets Einzelkämpfer, war er damals einer von denen, die ihren Beruf fast ausschließlich mit dem Handy ausgeübt hatten. Er hatte sich als Aktienfondsmanager einen Namen gemacht – »McHedgefonds« – und es innerhalb von zwei Jahren sogar aufs Titelblatt der ›Times‹ geschafft. Sein Spezialgebiet war russisches Roulette mit dem Geld seiner Anleger. In diesen Hedgefonds wurde mit allem gehandelt, was große Gewinne oder große Verluste bedeutete: Leerverkäufe, Optionen und Futures. Es gab nur wenige Cracks unter diesen Fondsmanagern, einige wurden zu richtigen Koryphäen, doch früher oder später verwandelten sich diese Megastars in Sternschnuppen, denn die meisten spekulierten sich und, schlimmer noch, ihre Anleger in den Ruin. Nicht so McGregor. Er blieb der schillerndste Stern am Börsenfirmament, der Midas inter pares, Nestor der dicksten Portfolios, Gelddruckmaschine.
Vor sieben Jahren war er von ›Forbes‹ zum Fondsmanager des Jahres gekürt worden, womit sein Platz im Olymp der Wirtschaftsgötter gesichert schien. Leah verfluchte diesen Abend vor sieben Jahren, denn er entpuppte sich als Auftakt für die schlimmste Zeit ihres Lebens.
Die Einladung zur Pressekonferenz lautete auf den Namen Leah Stanford. Damals war ihr Mann Timothy noch am Leben. Natürlich bekamen sie wie immer bei solchen Gelegenheiten Krach, denn sie musste sofort nach New York fliegen, auch wennsie nicht sonderlich darauf erpicht war. Und wie immer blieb es ihr überlassen, den Babysitter für Michael zu
Weitere Kostenlose Bücher