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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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Beste, Leah, außerdem sind alle auf der Weihnachtsfeier. Sag nicht, dass ihr Leute Christi Geburt zelebriert.« Wieder so ein Goyismus, der sie wütend machte und das Messer wetzen ließ – ihr Leute ! Aber was sollte sie tun, Jim war ihr Boss. Folglich beschloss sie, die Klappe zu halten und die letzen Weihnachtsgeschenke bei Macy’s einzukaufen. Auf Spesen! Das hatte er nun davon!
    D ie Pressekonferenz unterschied sich kaum von anderen Veranstaltungen dieser Art: ein paar Häppchen, ein paar Gläser Champagner in einem der größten Konferenzräume eines der größten Hotels der City und eine Pressemappe, die man eigentlich auch am heimischen Schreibtisch hätte studieren können. Doch Pressemappen wurden ja leider nicht per Post verschickt. McGregor war äußerst charismatisch; er verstand es, sein Publikum in den Bann zu ziehen. Er wirkte nicht wie einer der typischen Mammonjäger, viel gelassener, natürlicher, kaum darauf bedacht, irgendwen von irgendetwas zu überzeugen. Untypisch,fast aufrichtig. Fast. Er hätte auf jeden Fall einen guten Schauspieler abgegeben.
    Die üblichen Fragen stellten Leahs Kollegen, sodass sie den Mund halten konnte. Das erste Glas Champagner hatte sie noch entspannt, das zweite war schon zu viel. Also entschloss sie sich, nach der Konferenz noch etwas zu sich zu nehmen und sich dann schnell ins Bett zu verkriechen. Auf dem Weg zum Restaurant sah sie ihn an der Bar, umringt von mindestens drei ihrer penetranteren Kolleginnen. Zu Leahs Überraschung erwiderte er ihren eher zufälligen Blick und blinzelte ihr zu. Das war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte: einen selbstverliebten Pfau, der von sich überzeugt zum Thema Börse deklamierte.
    Einen Meeresfrüchtesalat später fühlte sie sich bedeutend besser. Als sie erneut an der Bar vorbeiging, saß McGregor immer noch auf dem Hocker, nach wie vor von drei Damen umringt, allerdings waren zwei Drittel der Besetzung ausgetauscht. Leah konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Und McGregor grinste zurück. Er entschuldigte sich bei seinen Groupies und trat auf sie zu.
    »David McGregor. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
    »Stanford, Leah Stanford«, antwortete sie überrumpelt.
    »Erweisen Sie mir die Ehre, Sie auf einen Drink entführen zu dürfen?« War sie in der falschen Operette? Mr Hedgefonds hatte wohl das Libretto nicht gelesen. Doch ohne eine Antwort abzuwarten, hakte er sich bei ihr unter und führte sie aus dem Hotel. Es gab wenige Situationen in ihrem Leben, in denen Leah sich nicht voll und ganz auf ihre Schlagfertigkeit verlassen konnte. So wie diese hier. Ihr Protest blieb aus.
    »Ich kenne eine nette kleine Bar, gerade um die Ecke«, sagte McGregor.
    »Und ich kenne drei Ladys, die Ihr Verhalten bestimmt nicht witzig finden.«
    »Wissen Sie, man kann nicht alles haben im Leben, manchmal ist man gezwungen, Prioritäten zu setzen.«
    Das, gepaart mit seinem umwerfenden Lächeln, führte dazu, dass Leah sich fragte, ob es eigentlich einen guten Grund gab, sich nicht einen Abend lang nette Dinge sagen zu lassen. Es wurde ihr bewusst, wie lange sie Derartiges nicht mehr gehört hatte. Und wie sehr sie es vermisste.
    McGregor geleitete sie in eine kleine Spelunke mit überraschend ansprechendem Ambiente. Leah mochte rustikale Einrichtungen, hasste es jedoch, von zu viel Holz beinahe erschlagen zu werden. Hier fand sie einen gelungenen Kompromiss. McGregor, der den Angestellten offenbar nicht unbekannt war, bekam einen der versteckteren Tische in einer Nische zugewiesen. Diskret ließ die Bedienung das »Reserviert«-Schildchen verschwinden.
    McGregor bestellte eine Flasche guten kalifornischen Cabernet Sauvignon, nachdem er sich nach ihren Vorlieben erkundigt hatte. Sie wusste, dass der Wein ihren Kopf sehr schnell in Watte packen würde. Aber ebenso wenig, wie sie auf die Komplimente verzichten wollte, wollte sie eine eventuelle Absicht, Berechnung oder gar Beliebigkeit dahinter wahrnehmen. Insofern war ein wenig Watte gar nicht schlecht. Doch zunächst saßen sie einander schweigend gegenüber.
    Er wirkte auf sie immer noch nicht wie einer dieser vielen Wertpapier-Hasardeure. Sie hatte genug Vertreter dieser Spezies gesehen. Mehr als einige davon auf Koks, um der ständigen Anspannung zu entfliehen, und immer auf der Suche nach dem letzten Kick. McGregor wandte den Blick nicht von ihren Augen. Als er nach ihren Händen griff, zog sie sie reflexartig zurück, obwohl eine leise Stimme in ihrem Kopf sie dazu

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