Lied der Wale
aufforderte, ihn gewähren zu lassen. Doch Komplimente waren eine Sache, Berührungen eine ganz andere. Besonders, da sie dabei plötzlichan ihr Diaphragma denken musste. Weiß der Himmel, wo es zu Hause verstaut war, gebraucht hatte sie es leider schon eine ganze Weile nicht mehr ...
Die Bedienung servierte den Wein zusammen mit einem Schälchen Käsewürfel, und trotz ihres dabei zu bewundernden beachtlichen Dekolletés wich McGregors Blick auch in diesem Moment purster Verführung nicht von Leah. Sie prosteten einander zu, und Leah spürte, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab. Nachdem sie ihr Glas abgesetzt hatte, wanderte ihre linke Hand automatisch zu der Stelle, an der sich ihr Ehering befand.
»Was hat Sie so erfolgreich gemacht?« Das war sicheres Terrain. Außerdem erschien ihr die Frage plötzlich nicht mehr so abgedroschen. Da hier der Prototyp des preisgekrönten Finanzjongleurs vor ihr saß – noch dazu ein besonders attraktives Exemplar dieser Gattung, zweifelsohne –, war sie wirklich neugierig geworden. Wie hatte es McGregor in so kurzer Zeit geschafft, eine so unglaubliche Karriere zu durchlaufen? Sie staunte mit einem Mal darüber, so wie sie als kleines Kind plötzlich die Frage beschäftigt hatte, warum man morgens und abends die Sonne rot sieht, obwohl sie doch tagsüber ihre Farbe nie verändert. Das Staunen über das Alltägliche, das Hinterfragen des scheinbar Selbstverständlichen.
McGregor grinste. »Also doch ein Exklusivinterview für die ›Post‹?«
Leah mimte die hartgesottene Journalistin, die an nichts anderes denken konnte als an ihren Job. Nur der zarte Rosé-Ton ihrer Gesichtshaut deutete darauf hin, dass dem nicht so war.
»In Ordnung«, meinte McGregor nur, »aber dann holen Sie besser Ihr Diktiergerät raus.« Nichts in seinem Ton verriet, ob er verärgert war.
Leah kramte ihr kleines Maschinchen aus der Handtasche und platzierte es mitten auf dem Tisch.
»Ich hatte einfach Glück, das war’s, Interview zu Ende.«
Das war’s? Wegen eines Satzes hatte sie ihr Diktiergerät hervorholen sollen? Natürlich entlockte sie ihm dann noch einiges mehr, off the record sozusagen, schaffte es, dass er ein bisschen Persönliches über sich erzählte: dass er Erdnussbutter auf den Tod hasste, dafür Orangenmarmelade auf Käsebrot liebte, eine Delikatesse, die er während eines längeren Aufenthalts in Stockholm zu schätzen gelernt hatte; oder dass er meistens drei Bücher gleichzeitig las, nie kurze Socken zum Anzug trug und ein Faible für Regatten – überhaupt für das Meer – hatte.
Leah hörte fasziniert zu. Zumindest mit einem Ohr. Das andere war vollauf damit beschäftigt, der inneren Stimme zu lauschen, die nach etwas ganz anderem verlangte. Der Wunsch, seine Hände nochmals zu berühren, wurde immer stärker. Sie führte dies auf den Wein zurück, dem bei der Pressekonferenz schon Champagner vorausgegangen war. Der rationale Teil ihres Gehirns erinnerte sie daran, dass sie momentan ein paar Probleme mit ihrem Privatleben hatte: Timothy war, wenn auch nicht geografisch, so doch emotional mindestens drei Zeitzonen entfernt; sie vernachlässigte wie eine Rabenmutter ihren Sohn; sie war mit ihrem Job im Wirtschaftsressort unzufrieden; ach ja, und das Verhältnis zu ihrer Mutter war derzeit auch nicht gerade das rosigste. Was blieb, war der unbändige Wunsch, diese Lippen zu küssen. Das einzig Vernünftige, liebe Leah, was du heute zustande gebracht hast, war, dich mit Mühe und Not bisweilen wie eine Lady zu benehmen!, fauchte eine weitere innere Stimme. Doch sie hörte sich nicht nach Leah an. Sie klang eher wie eine Mischung aus den Stimmen von Timothy, Michael, ihrer Ma und ihrem Pa.
»... Bonbon?«
Leah zuckte zusammen. Sie musste feststellen, dass auch das andere Ohr es inzwischen vorgezogen hatte, den inneren Monologen zu lauschen. »Wie bitte?«
McGregor lachte laut. »Ich bin gerade dabei, Ihnen mein Innerstes zu offenbaren, und Sie hören nicht mal zu?«
Leahs Gesichtsfarbe wechselte in Rekordzeit von Rosé zu Tiefrot.
»Ich fragte, ob Sie nicht ein Bonbon für Ihre Story möchten.«
Leah nickte benommen, sah, wie McGregor die Pausetaste am Diktiergerät betätigte und den kleinen Kasten an den Rand des Tisches schob, und registrierte, wie allein diese Geste schon ihren Puls beschleunigte.
Er flüsterte: »Harriman wird steigen!«, strich dabei abermals über ihre Hände, und seine Finger glitten wie selbstverständlich über den Ehering
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