Lied der Wale
Persönliche wieder heraus, und Stanton setzte den Artikel auf die erste Seite.
McGregor war vom gesellschaftlichen Parkett gefegt worden. Ob er danach im Straßengraben oder im Gefängnis landete, war ihr gleichgültig gewesen, zumindest machte sie sich das damals vor, wenngleich sie seinen weiteren Lebensweg nie ganz aus den Augen verlor.
Und jetzt war er wieder dabei, das Geld anderer Leute zu missbrauchen. Spendengelder ahnungsloser Menschen, deren Engagement gegen den Walfang er offenbar dazu nutzte, sich ein angenehmes Leben zu ermöglichen und gelegentlich irgendwelche Rambo-Aktionen durchzuführen, die dem Ganzen dann den nötigen schlagzeilenträchtigen Anstrich geben sollten.
Leah würde so lange keine Ruhe geben, bis sie all das aufgerollt hatte. Sie stellte die Ordner wieder in den Schrank und schloss ihn sorgfältig ab. Wenn sie Kazuki nicht warten lassen wollte, musste sie sich sputen.
I ch kann Ihnen sagen, dass uns der Ausgang des Prozesses mit äußerster Genugtuung erfüllt hat.«
Leahs Gegenüber zeigte sich jovial und dabei doch absolutprofessionell. Obwohl seine Gesichtszüge keinen Zweifel an seiner Herkunft ließen, wirkte er durch und durch amerikanisch. Das lag nicht nur an seiner Köpergröße, die mit eins achtzig deutlich über dem japanischen Durchschnitt lag, sondern auch an seiner offenen, fast übertrieben herzlichen Art, die ihn als Anhänger des »American way of life« auswies. Das »R« konnte er im Übrigen tadellos aussprechen.
»Ich freue mich auch, dass sich die seriöse Presse des Themas annimmt. Worüber genau wollen Sie schreiben?«
Kairami Kazuki arbeitete als Direktor der FishGoods Inc. Sein Büro war mit schlichtem Understatement eingerichtet, geprägt von wenigen, aber erlesenen Möbeln. Es wirkte modern und geschmackvoll. An der Wand hingen zwei großformatige Gemälde, die Leah sofort erkannte. Es handelte sich um zwei echte Hitamis. Aikimo Hitami war ein aufstrebender Stern am amerikanischen Künstlerhimmel und malte seit zehn Jahren Bilder, deren Motive man zwar nicht identifizieren konnte, die dafür aber umso gefragter waren.
Als Kazuki von Leah erfuhr, dass sie an einem Artikel über die SeaSpirit-Foundation arbeitete, nachdem sie »gewisse« Auskünfte erhalten hatte, und nun dabei sei, weitere Informationen und Hintergrundmaterial über die Bewegung zu sammeln, rieb er sich die Hände. Die Betonung auf »gewissen« Informationen hatte ihm besonders gut gefallen.
»Sie werden bei uns offene Türen vorfinden. Fragen Sie, was auch immer Sie wissen möchten, nur keine Hemmungen.«
Leah trank einen weiteren Schluck feinsten Darjeeling. Sie hatte eigentlich Sencha erwartet.
»Was genau wurde in dem Prozess verhandelt?«
»Lassen Sie mich eines vorwegnehmen: Unser Konzern, und damit meine ich jeden einzelnen unserer Mitarbeiter, egal, in welchem Land er arbeitet und aus welchem Land er kommt, wir alleverurteilen den Walfang aufs Schärfste. Unser Unternehmen hat mit keinem dieser Mörderschiffe auch nur das Geringste zu tun. Unsere Branche ist der Thunfischfang. Wir fangen keine Wale. Wir schlachten sie auch nicht ab. Insofern unterstützen wir prinzipiell die gleichen Ziele wie die SeaSpirit-Bewegung. Wir sind uns alle einig, wenn es darum geht, den sinnlosen Walfang zu stoppen.«
Kazuki hatte seine kleine Rede beendet. Sein Blick wirkte aufrichtig, und er schenkte Leah ein freundliches Lächeln, das Leah auch erwiderte, doch sie hatte nicht vor, sich einlullen zu lassen. Sollte er einfach erzählen, was er zu sagen hatte, sie würde sich die interessantesten Brocken schon herauspicken. »Und worum ging es nun in dem Prozess?«
Kazuki goss ihr Tee nach.
»Die Fakten: Vor genau einem Jahr war eines unserer Fangschiffe, die Santo Domingo, südlich von Neufundland unterwegs. Sie kreuzte schon seit einigen Tagen, hatte aber keine Thunfische mit dem Sonar erfasst. Als die Mannschaft endlich etwas ausmachen konnte, stieß sie auf die »SeaSpirit«, die parallel zu dem Thunfischschwarm schipperte. Unsere Leute kümmerten sich nicht weiter um das Boot, als unser werter Freund McGregor die Santo Domingo aufforderte beizudrehen. Kapitän Holbrook, ein erfahrener Seemann, hatte aber nicht vor beizudrehen, schließlich bewegte man sich hier in internationalen Gewässern. McGregor wurde daraufhin ziemlich unfreundlich. Das Ganze ist selbstverständlich in den Prozessakten dokumentiert. Holbrook ist einer unserer besten Männer. Ein kluger und umsichtiger Kopf –
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