Lied der Wale
Problem.
»Könnt ihr miteinander streiten?«
Noch ein Nicken. Das war schon eher das Problem.
»Na also.«
Leah sah Susan irritiert an, denn sie hatte weitere Fragen erwartet. Doch Susan schwieg und prostete ihr zu.
»Wie: ›Na also‹?«
»Na also im Sinne von ›Was willst du mehr?‹. Soll ich es buchstabieren? Du bist Mitte dreißig, die Zellulite startet bald einen Angriff auf deine Schenkel, und das mit dem Märchenprinzen hatten wir schon, nicht wahr?«
Es war Susan, die Leah damals die Augen geöffnet hatte. Einen Monat nach Timothys Tod. Einen Monat zu spät für Leah, selbst die Lawine loszutreten, die ihren heißgeliebten Göttergatten und sein damaliges »Objekt der Begierde« unter sich begrub. So viel zum Thema Märchenprinz.
»Du hast eine Sache vergessen, Susan.«
Susan nickte und antwortete mit vollem Mund: »Ach das. Nun, Liebe ist eine Illusion, mein Schatz, ausgelöst von einem wilden Hormoncocktail, den die Regierung schon lange unter das Drogengesetz gestellt hätte, wenn man ihn extrahieren könnte. Doch offenbar ist das Zeug flüchtiger als Erdgas. Also vergiss es.«
»Vielleicht hast du recht.«
»Nein, Verehrteste, ganz sicher hab ich recht. Und sollte er dir jemals einen Antrag machen, dann sei bitte nicht so bescheuert, ihn abzulehnen.«
Leah hielt Susans Blick stand und beschloss, seinen Verlobungsantrag nicht zu erwähnen.
»So, und jetzt erzähl mir endlich, was du auf dem Schiff machst.«
Leah berichtete ihr, was sie bislang in Erfahrung gebracht hatte. Sie schloss mit den Worten: »Die Japaner halten sich schon seit Jahren an die Quoten, schießen nur noch Wale zu rein wissenschaftlichen Zwecken. Und McGregor macht jeden möglichen Unsinn, um sie zu provozieren.«
»Solange die Spendengelder fließen ...«
Das war der springende Punkt. »Genau dafür will ich Beweise finden. Und das werd ich auch.«
»Reden wir hier von dem McGregor? Mister ›Gib’s mir auf dem Flur‹? Na hoppla.«
Hätte sie bloß damals ihre Klappe gehalten und es Susan nicht erzählt.
»Es gibt nur ein Problem.«
»Außer, dass du das Thema schnell gewechselt haben willst?« Einer von Susans einfühlsameren Augenblicken.
»Ich fürchte, er wird mich wiedererkennen.«
»Wenn er sich an jede erinnern wollte, mit der er mal geflirtethat, müsste er sich bei einem Elefanten das Gedächtnis borgen – ich bitte dich! Außerdem, du warst damals viel ...«
»... fetter. Sprich’s ruhig aus.«
Susan kramte in ihrer Tasche und zauberte eine alte Fotografie heraus. Das Bild zeigte die beiden, als Susan gerade ihren Führerschein entgegennahm. Mit knapp dreißig, nach beinahe so vielen Versuchen. Das Mirakel hatte Eingang in die Familienbibel gefunden.
»Oh, mein Gott«, jammerte Leah, »ich war die wandelnde Reklame für Slim-Fast ...«
»Nein, für Clarisse-Haarfärbemittel. Damals warst du blond, hast in Wirtschaft gemacht und deine Schmähartikel bei der ›Post‹ mit Stanford signiert, jetzt trägst du deinen Mädchennamen und machst einen auf ›National Geographic‹. Und da du, wie ich stark annehme, bei eurem einzigen Treffen viel zu beschäftigt warst, in seine Hose zu gelangen, statt ihm deine Vita vorzutragen, gibt’s keine Probleme.«
»Und wenn er mich trotzdem erkennt?«
»Dann bist du schon auf dem Boot. Dir wird schon was einfallen, dir fällt immer was ein. Außerdem, genau deswegen gehst du doch hin. Wegen McGorgeous. Rache ist doch nur dann süß, wenn er auch weiß, warum. Du willst mir doch nicht weismachen, dass dich außer ihm irgendwas an dieser Spendengeldkiste wirklich interessieren könnte, oder?«
Gott sei Dank wurde Leah einer Antwort enthoben, denn Belafonte brachte die Rechnung. Susan gab ihm ein großzügiges Trinkgeld und natürlich ihre Telefonnummer. Mit Lippenstift auf eine Serviette geschrieben. Direkt unter den Abdruck ihrer mit keckem Zungenschlag befeuchteten Lippen.
Auf dem Weg zu ihrer nächsten Prüfung schwor sich Leah, nie wieder mit ihrer Freundin auszugehen. Und falls doch, würde sie das Lokal aussuchen! Eines, wo sie nur von kahlköpfigen,kastrierten Kellnern bedient wurden. Wieso fiel ihr so eine Alliteration nicht ein, wenn sie mit Geoffrey sprach, fragte sich die Topjournalistin – die gerade mächtig Schiss vor dem hatte, was ihr als Nächstes bevorstand: Harte, zähe Verhandlungen. Mit ihrem Sohn !
W ie Leah vermutet hatte, fiel für Michael die Aussicht, mit Geoffrey volle drei Tage alleine verbringen zu müssen, in die Rubrik
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