Lied der Wale
geschockter war – über die Tatsache, dass sie keinen Babysitter für Michael hatte, oder darüber, dass es tatsächlich einen Mann geben sollte, auf den ihre zweiundsiebzigjährige Mutter sich noch einließ.
»Was seufzt du, Chérie?«, begrüßte sie Susan, die durch den Gartenzugang des Bistros eingetreten war. Wie immer erzeugte Susans Erscheinen gedämpftes Schweigen in der Männerwelt. Die Kombination von hauchdünner Bluse und eng anliegender Samthose ließ keinen Zweifel daran, dass sie als fleischgewordene Erfüllung männlicher Träume im Mittelpunkt des Abendszu stehen gedachte. Leah konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Kein Wunder, dass Susan jeden Richter für sich gewann, wenn sie so vor Gericht erschien.
Leah begann von ihrem bevorstehenden Trip inklusive aller Komplikationen zu berichten, während Susan mit Argusaugen die Nachbarschaft nach potenziellen Bewunderern absuchte. Als sie dezent auf Leahs Glas deutete, um ebenfalls einen Rosé zu ordern, stellte sie fest, dass auch der schwule Barmann seinen Blick nicht von ihr wenden konnte.
»Auf ein Schiff? So richtig im Ozean? Dir wird doch schon schlecht, wenn du einem Kind auf der Schaukel zuschaust!«
»Ich weiß auch nicht, wer diese hundsgemeine Regel aufgestellt hat, die einen Journalisten dazu verpflichtet, überall seine Nase hineinzustecken.«
Susan griff nach Leahs Glas und prostete ihr zu.
»Das warst sicher du! Kannst es doch kaum erwarten.«
»Ja. Und nein. Ich meine, das mit Michael macht mir zu schaffen.«
»Was ist mit Geoffrey?«
»Hab kapituliert. Vor kurzem hab ich ihm noch einen Korb gegeben, als er vorschlug, das Wochenende mit meinem Sohn zu verbringen.«
»Und?« Susan verbarg ihre Neugier so gut, wie man ein Wandgemälde hinter einer Dollarnote verstecken konnte.
Leahs bemühtes Lächeln entgleiste ein wenig.
»Und – ich bin zu Kreuze gekrochen. Ich musste ihn sogar bitten, Montag freizunehmen, weil Ma erst ab Dienstag Zeit hat.«
»Na prima, dann verbringen die beiden ein richtiges Männerwochenende!« Susan blieben die Worte fast im Halse stecken, als der Kellner neben ihr stehen blieb. Eine Mischung aus Harry Belafonte und Patrick Swayze.
»’aben die Damen schon etwas ausgesucht?«
»Ja: Sie«, knurrte sie, und Leah wäre am liebsten im Boden versunken.
»Geben Sie uns noch deux minutes, dann sind wir so weit.«
»Peinlicher geht’s wohl nicht«, murrte Leah, nachdem der schüchterne Marokkaner das Weite gesucht hatte.
»Ich hab seit Halloween keinen Sex gehabt.«
Von wegen, dachte Leah, doch ihre Freundin hatte anscheinend telepathische Fähigkeiten, denn sie sagte: »Mein Gott, die paar Mal! Wollte nur, dass der Kerl sich gut einprägt, auf was er verzichtet.«
»Der ›Kerl‹ war achtzehn .«
»Alt genug, um sich freiwillig für die Army zu melden, voll ausgewachsen. Überall«, konterte Susan und öffnete die Speisekarte. »Also, wonach ist uns heute, Coq au Vin, Rinderfilet Richelieu, Noisette d’Agneau?«
»Bonjour tristesse«, seufzte Leah, der es noch bevorstand, Michael in ihre Pläne einzuweihen.
»Mein Gott, Leah, du hast die erstaunliche Eigenschaft, selbst durch eine rosarote Brille alles schwarz zu sehen. Sei froh, dass du so einen verrückten Kerl hast, der sich fast umbringt, um mit deinem Filius zusammen sein zu dürfen. Die beiden werden Spaß haben! Sie werden sich einen Actionfilm reinziehen, inklusive Chips bis zum Abwinken, und unter dem Siegel der Verschwiegenheit wird Geoffrey ihm einen Schluck Bier gönnen.«
»Kannst dir sicher vorstellen, wie scharf Mickey auf so was ist. Bier? «
»Na, vielleicht auch Schnaps.«
»Wie ich meinen Sohn kenne, wird er mich dafür büßen lassen.«
»Alles wird sich von alleine klären, glaub mir. Ich war dreiJahre beim Psychoanalytiker, und sobald ich mich auf die Couch legte, spürte ich ...«
»Warum?«, unterbrach sie Leah.
»Wie: ›Warum‹? Beim Analytiker liegt man immer auf der Couch.«
»Warum warst du beim Analytiker, Susan?«
»War ich gar nicht, wollte dich nur von ›Bonjour tristesse‹ ablenken. Können wir endlich bestellen?«
Wenig später waren sie wieder bei ihrem Lieblingsthema.
»Du verstehst dich doch mit Geoffrey?«
»Wie meinst du das?«
Susan verdrehte die Augen. »Wie wohl? Beim Vögeln alles im grünen Bereich?«
Nicht so laut, gab ihr Leah peinlich berührt zu verstehen.
»O. k., das ist Antwort genug. Könnt ihr miteinander reden, ich meine, richtig?«
Leah nickte. Das war kaum das
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