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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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sollte. Leah versuchte den imaginären Aus-Knopf zu finden. »Wir hatten einen Deal, oder? Und es ist nur für ein paar Tage, Oma kommt am Dienstag und ...«
    »Warum ausgerechnet der?«
    Der Satz schien in Endlosschleife durch Michaels Schädel zu laufen. Mit Engelszungen redete sie auf ihn ein: Erstens gebe es keine andere Möglichkeit, zweitens sei sie froh, dass sie überhaupt jemanden gefunden habe, drittens möge Geoffrey ihn nun mal.
    »Erstens musst du nicht wegfahren, zweitens könnte ich alleine bleiben, und drittens mag er mich überhaupt nicht.«
    »Weißt du was, Mister, ich glaube, du hast keine Ahnung, wiesich ein Mann dir gegenüber verhalten würde, der dich nicht mag! Denk mal drüber nach.«
    Zehn Minuten später schnaufte Geoffrey telefonierend die Treppen herauf und notierte sich dabei eine Nummer. »... alles klar, ja, ich hab’s ... und, he, Nick, saubere Arbeit.«
    Er klappte sein Handy zusammen und reichte Leah den Zettel. »Dein kleiner Einstein hat Funk, Fax, Telefon eingerichtet. Egal, wie du versuchst, uns zu erreichen, da meldet sich immer ›National Geographic‹.« Dann erst bemerkte er Michael, der mit hängenden Schultern neben Leah stand. »Na, Sportsfreund, wir werden ’ne Menge Spaß haben, was?«
    Michaels Schweigen machte deutlich, dass ihrer beider Vorstellungen über Spaß ungefähr so viel gemein hatten wie die von Mister Bean und dem Papst.
    »Er ist richtig aus dem Häuschen. Schau, wie er sich freut.«
    Leah warf Geoffrey einen strafenden Blick zu. Sie wollte noch etwas erwidern, einen letzten verzweifelten Versuch starten, ausgleichend zu wirken, eine verbale Brücke zu bauen zwischen den beiden, damit sie guten Gewissens abreisen konnte, doch das Klingeln an der Tür enthob sie jeden Kommentars. Leah schnappte die Tasche und schob sich an den beiden Zankteufeln vorbei.
    »Mein Taxi. Sag, dass ich gleich unten bin.«
    Geoffrey tat wie ihm geheißen, und Leah kniete neben ihrem Sohn.
    »Mach mir jetzt kein schlechtes Gewissen ... Komm, gib deiner Rabenmutter einen Kuss und versprich, dass du ihm nicht die Hölle heiß machen wirst.«
    Michael schien höchstens gewillt, über den Part mit der Hölle zu diskutieren. Also zog Leah ihn zu sich. »Gib ihm eine Chance, Michael ... bitte ... für mich.«
    Sie spürte, wie sich die Arme ihres Sohnes zögerlich um ihrenNacken legten. Sehr zögerlich. Also tat Leah genau das, was jede einfühlsame Mutter in derselben Situation getan hätte. Sie versprach, ihm fünf weitere Spiele zu kaufen, sobald sie wieder zurück wäre. »Du hinterlistiger Manipulant«, rief sie, als ihr Sohn schlagartig vom sterbenden Schwan zum hüpfenden Derwisch umschaltete, »das war die ganze Zeit Taktik!«
    »Und über das Hündchen reden wir, wenn du wieder da bist,  o. k.?« Michael verstand es wirklich, die Gunst der Stunde zu nutzen. »Im Laden neben dem Kino hab ich einen kleinen ...«
    Leah konnte nur den Kopf schütteln, drückte Michael fest an sich und stürzte dann in den Aufzug. Geoffrey, der schon neben dem Taxi auf sie wartete, bekam ebenfalls eine Umarmung.
    »Kein Kuss?«
    Also küsste sie ihn. Und betete, dass aus dem Wirrwarr sich widersprechender Gefühle, die sie für Geoffrey hegte, doch  irgendwann noch Liebe werden könnte. Gespaltenen Herzens stellte sie fest, dass Michael ihr nicht wie üblich vom Fenster aus zuwinkte. Der Schuft hing sicher am Telefon, um seine Kumpels über den gelungenen Raubzug zu unterrichten ... Wenigstens hatte es keine Tränen gegeben.
    I m Flieger versuchte Leah ein wenig zu schlafen – ein vergeblicher Versuch, denn ihre Gedanken kreisten zu sehr um Michael. Sie öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr das kleine Fotoalbum, das sie stets bei sich trug. Ein Geschenk ihres Sohnes zu ihrem vorletzten Geburtstag. Fotos von Michael jetzt, Fotos von Michael aus glücklicheren Tagen, als Timothy noch lebte, Fotos, die ihr Sohn alle aufbewahrt hatte, die einzigen, aus denen sie seinen Vater nicht mit der Schere verbannt hatte. Michael kannte die Wahrheit nicht, sollte die Illusion von einem Vaterbehalten, auf dessen Andenken er sein kleines Universum aufbauen konnte.
    Sie musste plötzlich daran denken, wie sie damals nach Davos geflogen war, um Timothys Leiche nach Hause zu überführen. Die Eltern der langbeinigen fünfundzwanzigjährigen Blondine mit Namen Cynthia, der er die Heirat versprochen hatte, waren ebenfalls dort. Leah hatte nichts von Timothys Beziehung gewusst und nur angenommen, die junge Frau

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