Lied der Wale
wieder tun.«
»Aha. Und woher dieses prophetische Wissen?«
»Bauchgefühl.«
»Dein Bauch leidet an Paranoia und gehört in eine Gummizelle! Wir brauchen Presse, David. Egal, für wen sie schreibt, sie bringt uns in die Medien! Geht das in deinen Schädel?«
Steve war nicht mehr zu bremsen: Ob David nicht mitbekommen habe, dass sie von ihrer Arbeit mit den Walen begeistert sei, fragte er. Davids Vergangenheit als gescheiterter Börsenmakler interessiere hier nicht. Und sein verletzter Stolz ebenso wenig.
»Wir können es uns nicht leisten, jeden Journalisten zu vergraulen, ich mach das nicht mehr mit!«
»Ach ja?« David blickte Steve in die Augen.
»Du kannst mich mal.« Steve warf die Hände in die Luft. »Mir gehen deine selbstzerstörerischen Anfälle auf den Geist! Wenn du uns fertigmachen willst, warum gehst du dann nicht nach unten, ziehst den Stöpsel und lässt das Schiff einfach absaufen? Das ist zumindest ehrlicher als dieses Anti-Presse-Theater.«
David wollte etwas erwidern, aber Steve kam ihm zuvor: »Und noch was! Vielleicht ist es dir entgangen, aber sie ist verdammt nett. Sie ist motiviert, offen, und – Achtung, jetzt kommt’s! – sie ist tatsächlich ein bezauberndes, mitfühlendes Wesen. Ich habe keine Ahnung, weshalb du sie wie Dreck behandelst!«
Mit diesen Worten verließ auch Steve den Raum.
David blieb allein zurück und starrte aus dem Fenster. Er hätte sie nie an Bord kommen lassen dürfen. Sein Instinkt hatte ihn nicht getäuscht. Mittlerweile erinnerte er sich auch an ihre Begegnung. Nach dem Gespräch mit der Redaktion vom ›National Geographic‹ war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Leah Stanford, die Frau, die ihn in Grund und Boden gerammt hatte. So, wie sie ihn damals geküsst hatte, wäre er nicht im Traum darauf gekommen, dass sie die Absicht hatte, ihn mit ihrem Artikel durch den Dreck zu ziehen ... War das so verwerflich, dass er seiner zukünftigen Frau treu bleiben wollte? Und jetzt, als er sie wiedersah, passte es immer noch nicht zusammen. Sogar Joe hatte zu ihm gesagt, dass sie o. k. sei. Und das kam bei Joe schon fast einer Liebeserklärung gleich. McGregor seufzte, griff nach dem dreckigen Geschirr und brachte es zur Kombüse. Dann stapfte er zur Brücke. Schon seltsam: Wieso plagte ihn jetzt das schlechte Gewissen, obwohl er doch ganz offensichtlich im Recht war?
L eah fühlte sich wie eine Kirchgängerin, die man beim Plündern des Opferstocks erwischt hatte. Sie konnte nicht mal sauer auf ihn sein; die Vorwürfe, auch wenn er die Wahrheit nicht ahnen konnte, waren ja berechtigt. Immerhin hatte sie noch irgendwo in seinen Gehirnwindungen als Erinnerungspixel existiert, das war schon fast als Kompliment zu werten. Natürlich hatte die Art, wie er sie abkanzelte, sie nicht gleichgültig gelassen.
Andererseits: Da sie nun zur Persona non grata geworden war, spielte es auch keine Rolle mehr, ob man sie beim Spionieren erwischte oder nicht. Dementsprechend konnte sie entschiedener zu Werke gehen. Ein paar Tage hatte sie vielleicht noch, bevor sie die Helikopterprozedur ein zweites Mal über sich ergehen lassen musste. Sei’s drum. Es war ihr fast lieber so, denn nun lagen dieDinge klar auf dem Tisch, und sie brauchte nicht weiter mit einem schlechten Gewissen herumzulaufen. Sie war offiziell zum Staatsfeind erklärt worden. Doch wenn er glaubte, sie würde sich deswegen verkriechen, hatte er sich geschnitten. Wie war das noch gleich, hatte er falscher Journalistenhintern gesagt oder fetter Journalistenhintern? Egal, seinem Hintern würde sie bald einen gewaltigen Tritt verpassen, das war ein Versprechen!
Noch dazu hatte Steve nicht so ausgesehen, als ob er McGregors Ansichten teilte. Mal sehen, ob es ihr nicht gelang, ihn auf ihre Seite zu ziehen... Das Ganze konnte sogar recht amüsant werden.
Natürlich meldete sich da noch eine zweite, leisere innere Stimme, die nicht so leichtfertig über das Ganze hinwegbügelte. Sie machte Leah klar, wie sehr es sie kränkte, dass McGregor in ihr lediglich die potenzielle Verräterin erblickt hatte, die nur darauf wartete, ihn ein zweites Mal vom Sockel zu stürzen. Auch wenn er sich nur auf Intuition und Vermutungen verlassen konnte, hatte der Mann im Grunde ja recht, denn genau das hatte Leah vorgehabt. Aber es verletzte sie dennoch, dass es da nicht noch etwas anderes gab, das ihn an ihr interessierte. Sie war für ihn wie Luft. Toxische Luft. Giftgas.
Keine zehn Minuten später klopfte es an
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