Lied der Wale
er sich der gesammelten Aufmerksamkeit sicher sein. Ich redete auf ihn ein, was das solle, dachte, klasse, jetzt hast du einen Exhibitionisten an Bord. Und wenn es etwas gab, was jeder der Anwesenden in der Hand hielt, so war das ein Fotoapparat oder eine Videokamera. Dann ging es ganz schnell. David stemmte sich über die Reling und sprang ins Wasser. Du kannst dir den Zirkus an Bord vorstellen, als er beschlossen hatte, die Whale-Watching-Tour in eine Whale-Touching-Tour umzufunktionieren. Ich ließ sofort ein Rettungsboot zu Wasser, doch David war inzwischen bei den Walen angekommen. Denen schien er nicht ganz geheuer zu sein. Nur einer der Finnwale war auf das komische Wesen ebenso neugierig wie dieses auf ihn. David schwamm zu ihm, und der Wal ließ sich von ihm berühren. Ich stand inmitten einer Kakophonie von klickenden Fotoapparaten. Das Rettungsboot war inzwischen bei David angekommen, mein Mitarbeiter redetemit Engelszungen auf David ein, doch weder der Wal noch David machten Anstalten, den Kontakt zu beenden. Fünf Minuten später fing der Typ im Rettungsboot ebenfalls an, den Wal zu kraulen. Zufällig war auch noch irgendein Lokalreporter an Bord, und ratzfatz drohte das Ganze zu einem kleinen Medienspektakel zu werden – mit welchem Tenor, das war nicht abzusehen. Nach einer halben Stunde bequemte sich David endlich, an Bord des Rettungsbootes zu gehen.
Als er wieder auf dem Schiff war, drängte sich der Reporter vor. David sah mich flehend an, in der Hoffnung, dass ich ihn der Meute entreißen würde. In dem Moment hätte ich nicht übel Lust gehabt, ihn in kleinen Häppchen den Haien zuzuführen. Doch im Grunde meines Herzens bin ich ein Bernhardiner, es fehlt nur das Rumfässchen. Also schnappte ich ihn und brachte ihn, tropfnass wie er war, und mit seinen Klamotten unter dem Arm, in die Offizierskajüte. ›Danke‹, sagte er nur, dann schwieg er eine Weile. Ich setzte mich ihm gegenüber und fragte: ›Und jetzt?‹ Ich bezog das auf den Reporter und den Ärger, der sich daraus für meine Firma ergeben konnte. David allerdings schien die Frage auf den Fortgang seines Lebens zu beziehen. Er sah mich an und sagte: ›Und jetzt legen wir los. Ich kenn jemanden, der arbeitet mit Navigationssendern. Lass sie uns erforschen.‹ – ›Die Sender?‹, fragte ich. – ›Nein, die Wale‹, sagte er. David wollte einen gemeinnützigen Verein gründen, Wale mit Sendern markieren, um damit mehr über ihre Routen und ihr Leben in Erfahrung zu bringen und sie dadurch besser schützen zu können, das Ganze vielleicht in Kooperation mit einer Uni. Er war völlig euphorisiert, so als ob er sein ganzes Leben nur darauf gewartet hätte. Es stellte sich heraus, dass er sogar ein Kapitänspatent besaß, nicht für Schiffe wie dieses, dafür haben wir Joe, aber immerhin, der Mann hatte Hochseeregatten gefahren.«
»Und – habt ihr sofort losgelegt?«, wollte Leah wissen.
Steve lachte auf. »Zuerst hab ich ihn überhaupt nicht ernst genommen, diese Begegnung mit dem Wal hatte ihn offensichtlich ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich kannte das schon. Auf jeder Tour war so einer dabei, der in Tränen ausbrach, wenn er mit Walen zum ersten Mal in Kontakt kam. Ich konnte das nie so richtig nachvollziehen. Doch bei David war es anders. Wir trafen uns abends wieder in meiner Stammkneipe, und er hielt mir einen Vortrag darüber, was er gespürt hatte: Er sprach von Energien, wie sich seine mit der des Wals vereinigt hätte und dass das eine einzigartige Begegnung gewesen sei. Endlich wollte er seinem Leben einen Sinn geben. Auch das hielt ich für Gefasel, bis er konkret wurde: ›Pass auf, du bist ein praktisch veranlagter Mensch‹, sagte er zu mir. ›Ich werd das hier aufziehen. Und wenn du dabei sein willst ... Ich hab eine Million Dollar. Du kannst das Geld in ein Schiff mit Crew und einen Verein umwandeln. Wenn du mitmachen willst, hast du freie Hand.‹ Klar hab ich eingeschlagen. Sechs Wochen später stach die ›SeaSpirit‹ in See. Es klingt unglaublich, aber genau so war’s.«
Auf Leahs Frage, ob McGregor sein gesamtes Geld in das Projekt gesteckt habe, antwortete Steve, fünfzigtausend habe er selbst eingebracht, der Rest sei von David. So ziemlich alles, was er noch besessen hatte, stecke in dem Kahn hier. Da sie die Uni in L. A. mit Daten versorgten, fließe darüber auch ein bisschen Kohle zurück. Aber alles in allem sei das Ganze finanziell ziemlich riskant.
»Manchmal unnötig riskant«, murmelte er,
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