Lied der Wale
letzten Kohle hatte er sich für ein Wochenende einen rostigen Kutter gemietet. Zu der Zeit kämpfte Greenpeace für das Walfangverbot, alle paar Wochen waren sie in den Medien. Und wenige Meilen vor L. A. schwammen Wale, wo man nur hinsah. Mit einem selbst gepinselten Schild stellte sich Steve an den Kai, und drei Stunden später startete eines der ersten Whale-Watching-Unternehmen. Das Ganze war rein kommerziell ausgerichtet und nannte sich eben SeaSpirit. Heute hieß der Betrieb »2-C-Whales« – die Hip-Hop-Variante von SeaSpirit – und betrieb zehn Schiffe. Steve hatte keine Anteile mehr daran, aber zumindest war das der Anfang von allem.
Aus der Whale-Watching-Firma wurde die Foundation, ein paar Wochen nachdem Steve David kennengelernt hatte, im Herbst vor knapp sechs Jahren. Er habe damals in einer Bar gehockt, nach einem absolut beschissenen Tag, an dem alles schiefgegangen war. Der Wagen war kaputt, er hatte erfahren, dass einer seiner Geschäftsführer in die eigene Tasche arbeitete, und seine damalige Freundin hatte ihm den Laufpass gegeben, blabla. Steve hätte sich an dem Abend wohl unter den Tisch gesoffen, wenn nicht plötzlich dieser Broker-Dandy hereingekommen wäre und sich neben ihn gestellt hätte. Gerade hatte er noch gedacht, er hätte einen Scheißtag gehabt. Aber nach dem Gesichtsausdruck des Mannes neben ihm zu urteilen, konnte Steve sich wohl noch glücklich schätzen.
Der Dandy fragte ihn, ob er der Typ sei, der mit den Booten zu den Walen rausfahre. Klar, sagte Steve. Der Kerl – eben David McGregor – wollte wissen, wann die nächste Tour startete; eswar am folgenden Tag. Also setzte McGregor sich neben ihn an die Bar, wobei er einen Hocker zwischen ihnen frei ließ, und schüttete innerhalb von fünf Minuten drei Malt-Whiskeys in sich hinein. Na, auch die Frau weggelaufen?, hatte Steve von ihm wissen wollen. Ein kurzes Nicken schien das zu bestätigen. Bin auch noch von meinem Geschäftsführer betrogen worden, legte Steve nach und McGregor erwiderte: Ich von vieren und danach sicher noch von mindestens einem Dutzend. So kamen sie ins Gespräch, wobei Steve die meiste Zeit redete. Von David erfuhr er nur, dass er als Broker Schiffbruch erlitten hatte und nun der Welt der Finanzen, nein, der Welt im Allgemeinen den Rücken kehren wollte. Steve erzählte ihm, was er so machte, SeaSpirit, UCLA et cetera, blabla.
»Ich war nicht mal sicher, ob er überhaupt zuhörte. Mir war’s auch egal, ich hatte mittlerweile so viel intus, ich hätte in meinem Frust die ganze Story auch dem Dackel meiner Großmutter erzählt.«
Eins blieb bei ihm jedoch hängen: David beichtete, dass er etwas wiedergutzumachen hätte. Mehr nicht, den Rest vertraute er ihm erst viel später an. David hatte vor Jahren einem japanischen Konzern geholfen, einen perfekten Börsengang zu absolvieren. Unmengen Geld flossen in die Kassen der Company, die daraufhin stark expandierte. Der Konzern war unter anderem im Fischfang tätig, doch was David erst viel später erfuhr: Die hatten auch Walfangschiffe. Zu dem Zeitpunkt konnte er aber nichts mehr machen. Zumindest nicht in dem Job, den er hatte. Steve glaubte, dass David damals unter dem »Frankenstein-Komplex« litt. Er hatte ein Monster erschaffen und war nicht in der Lage, etwas gegen dessen Untaten zu unternehmen. Aber das war Schnee von gestern.
»Meine Güte, der Alkoholpegel an dem Abend stieg und stieg. Jedenfalls haben wir die Kneipe als Letzte verlassen. Keine Ahnung,wie David nach Hause gekommen ist, ich jedenfalls bin mehr oder weniger gekrochen.«
Am nächsten Tag stand David tatsächlich am Pier, als Steve gerade starten wollte, und fuhr mit hinaus. Es sollte eine Tour über zwei Tage werden, und das war auch gut so, denn am ersten Tag hatten sie kein Glück. Am Nachmittag erhielten sie von einem Fischer einen Tipp, wo sich ein paar Finnwale aufhielten, und sie machten sich auf, um sie zu finden, leider vergeblich.
Doch am folgenden Morgen waren sie da – ein paar wunderschöne Exemplare. Ganz in der Nähe vom Boot, so, als ob sie sie gesucht hätten. Im gleichen Moment, in dem David die Wale sah, wurde er seltsam still. Steve hielt fleißig seine Vorträge, aber David hörte schon nicht mehr zu. Er war fast wie in Trance, und plötzlich begann er sich auszuziehen.
»Ich dachte, ich seh nicht recht. In aller Seelenruhe zog er sein T-Shirt über die Brust, o. k., da schauten schon ein paar Omas pikiert, aber als er sich seiner Hosen entledigte, konnte
Weitere Kostenlose Bücher