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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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belebend wie ein Heizofen. Schweigend saßen die beiden nebeneinander und schienen sich in der Stille zu verlieren, bis David sich schließlich räusperte und sagte: »Danke ... für Ihren Einsatz, Leah. Was immer Sie über mich denken, Sie haben allen Grund dazu. Würde mich trotzdem freuen, wenn Sie das, was ich Ihnen gestern an den Kopf geworfen habe, aus Ihrem Gedächtnis streichen könnten. Manchmal reitet mich der Teufel, wissen Sie, da kann ich wie ein Berserker sein. Leider. Aber ich weiß es zu schätzen, was Sie da unten am Netz und für unseren Freund hier getan haben. Danke.«
    Leah merkte, wie der Kloß in ihrem Hals dicker wurde, ihr fehlten die Worte, um darauf zu antworten. Was hätte sie auch sagen können? Nein, Sie hatten gestern völlig recht, vergessen Sie schnell wieder Ihre Gutgläubigkeit, ich, Leah Cullin, bin tatsächlich nur aus dem einzigen Grund hier, um Sie ans Messer zu liefern. Aber das würde sie auf keinen Fall mehr, nicht nach dem, was sie heute erlebt hatte. Im Gegenteil. Sie müsste ihm die Wahrheit sagen, ihn warnen, zum Beispiel vor Kazuki, der in irgendeinem verdammten Hafen auf David warten würde, um ihn seiner Existenz zu berauben. Doch Leah sagte gar nichts. Stattdessentrafen sich ihrer beider Blicke für einen kurzen Moment, vorsichtig tastend, um sich nicht zu weit vorzuwagen, und doch voller Neugier, das zu erkunden, was der andere bereit war preiszugeben.
    »Meinen Sie, er wird durchkommen?«
    »Ich hoffe es, ich hoffe es sehr.«
    David legte den Kopf in den Nacken und fixierte einen entfernten Punkt am Himmel, der gerade aufzureißen begann und ein paar Sterne sichtbar werden ließ.
    »Es gab da mal einen Delfin, eigentlich fünf Delfine, die wir lebend aus einem Treibnetz befreien konnten. Vier sind sofort weitergeschwommen, doch dem einen hatte das Netz die Flossen so abgeschnürt, dass sie nicht mehr genügend durchblutet waren. Sie waren sozusagen ›eingeschlafen‹. Da er nicht schwimmen konnte, hievten wir ihn in unser Becken. Es dauerte eine ganze Weile, ich glaube, so an die zwei, drei Tage, doch dann war er tatsächlich über den Berg, und wir konnten ihn wieder aussetzen. Ich weiß nicht, woher die so schnell gekommen waren, aber sofort wurde er von seinen vier Artgenossen begrüßt. Sie hatten in der Nähe auf ihn gewartet und auf geheimnisvolle Weise sofort den richtigen Zeitpunkt erwischt, um ihn zu empfangen.«
    »Sind wirklich besondere Tiere, die Delfine.«
    Als ob sie damit einen Bann gebrochen hatte, fing David nun erst recht an zu reden. Frei von der Seele. Als ob sie sich schon eine Ewigkeit kannten, wie mit einem vertrauten Freund. »Es gibt tausend Geschichten über ihre Intelligenz, ihre Menschenliebe, ihre Freundlichkeit, bis in die Mythologie zurück. Von Korianos aus Paros wird zum Beispiel berichtet, dass er einem Delfin das Leben rettete. Als Korianos dann starb, wollte man seinen toten Körper am Meeresufer verbrennen. Plötzlich erschienen unzählige Delfine im flachen Wasser vor dem Strand,lagen dort und warteten, so, als wären auch sie Teilnehmer der Trauerzeremonie. Sie erwiesen ihm auf ihre Weise die letzte Ehre und blieben so lange, bis das Feuer erloschen war. Ja, sie zeigen gerne ihre Dankbarkeit ... Es ist bei Delfinen üblich, dass sie ihren verstorbenen Freunden Achtung bekunden, dass sie sie niemals alleine lassen, wenn sie im Sterben liegen. Sie gehen sogar so weit, dass sie ihre toten Gefährten ans Ufer schieben, so, als rechneten sie damit, dass wir Menschen sie begraben würden.«
    Er erzählte ihr, dass schon Aristoteles darüber geschrieben hatte. »Sie kämpfen auch um ihre Toten«, fuhr David fort, »damit kein Raubfisch sich über sie hermachen kann. Schon Tausende von Jahren vor unserer Zeit wurden bei zahlreichen Völkern Delfine als gottähnlich verehrt – wer sie tötete, war selbst des Todes. Bei den Griechen und auch den Römern galt der Delfin als König der Meere. Er war ein treuer Begleiter und Diener ihrer Götter, die sich angeblich seiner Form bedienten, um uns gelegentlich zu erscheinen. Von ihm zu träumen, galt als etwas ganz Besonderes. Bacchylides von Ceos gab den Delfinen die Bezeichnung ›Meeresmenschen‹. Man betrachtete es als unmoralisch und äußerst verwerflich, Delfine zu jagen. Das Töten eines Delfins wurde damals genauso wie der Mord an einem Menschen bestraft. – Keine Ahnung«, schloss David seinen Bericht, »warum sie uns so gerne haben, verdient haben wir es  nicht, aber es

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