Lied der Wale
abmühte, wie er neben seinen Männern schuftete, ja sogar sein Leben riskierte, war das Bild eines aalglatten Spendenhinterziehers dem eines sensiblen, empfindsamen Mannes gewichen. Und Leah wünschte sich, dass nichts und niemand diese neu gewonnene Einsicht widerlegte.
T rotzdem musste sie auf Nicks Nachricht reagieren. Sie wählte seine Nummer und kaute wartend auf ihrer Unterlippe.
»Sag: ›Danke, Nick‹«, meldete sich ihr Adlatus.
»Danke, Nick.« Sie wandte den Kopf und sah in Richtung Brücke. Hinter der Scheibe erkannte sie David. Es gab kein Zurück mehr. Aber sie konnte das Gespräch jetzt schlecht abbrechen.
»Also«, begann Nick, »die Master-Bank of Santa Ana ist wirklich eine kleine Bank. Haben zehn Filialen, sind alle auf das Gebiet von L. A. beschränkt. Ist auch noch nicht besonders alt, wurde erst vor zwanzig Jahren gegründet. Heute wird die Bank ...«
Immer wenn Nick einen Satz mit Also beginnen ließ, konnte man sicher sein, dass seine Ausführungen länger dauern würden. Doch Leah hatte keine Geduld, eine Lektion in Bankengeschichte zu ertragen. »Was hast du rausgefunden?«
»Erzähl ich dir doch gerade«, gab Nick zurück und nahm den Faden wieder auf. »Heute wird die Bank von den beiden Söhnen des Gründers geleitet. Und die haben in den Achtzigern richtig in ihre EDV-Anlage investiert.«
»Nick!« Die verdammte Geschichte der Bank war das Allerletzte, was sie interessierte. Doch Nick ließ sich von seiner Art des Berichtens nicht abbringen. Leah war klar, dass sie die Geduld einfach aufbringen musste. Mit halbem Ohr hörte sie zu, wie Nick schilderte, dass die Sicherheitsvorkehrungen der Master-Bank von Santa Ana ziemlich rudimentär waren, weil sie eben aus den Achtzigern stammten, und wie es seinem genialen Freund – das wird dich was kosten, Leah – gelungen war, sich in den Hauptrechner einzuloggen, die Administrator-Rechte – nein, sie wollte auch nicht wissen, was das war, und auch nicht den Trick erfahren, wie Dennis, so hieß Nicks Kumpel, mittels einer Shadow-Datei ein neues Passwort anmeldete und dann wieder alles mit der Shadow-Sicherungsdatei rückgängig machte ...
»Nick, es in-ter-e-ssiert mich nicht!« Leah spürte, dass sie zunehmend gereizter wurde.
»He, was ist los mit dir?«
»Nichts. Ich warte einfach darauf, dass du mir das erzählst, was ich wirklich wissen will. Haben sie Dreck am Stecken?«
Nick seufzte. »Nein. Haben sie nicht. Ich hab mir das Konto angesehen, seitdem es für die Foundation eingerichtet worden ist. In den fast sechs Jahren ist nur ein einziger großer Betrag drauf eingegangen, eine Million.«
Leah schluckte. »Eine Million? Und was ist mit dem Geld passiert?«
»Das ist die Summe, die David McGregor vor etwa sechs Jahren eingezahlt hat. Und das ist alles draufgegangen für das Schiff und das technische Equipment.«
Richtig, Steve hatte es ihr erzählt, daran konnte sie sich erinnern.
»Und sonst?«
»Nichts. Kleckerbeträge rein, Kleckerbeträge raus, derzeit ein Minus von ...«
»... knapp 125 Dollar.«
»Genau. Woher weißt du das?«
»Den aktuellen Kontostand hab ich hier auf dem Schiff rausbekommen. Hast du sonst noch was entdeckt?«
»Bislang nicht. Und hab auch keine Spende von Fowlers gefunden.«
»Du meinst also, die sind sauber?«
»Sieht so aus. Auf dem Konto gibt’s keine Unregelmäßigkeiten. Ich hab mir die ganzen Daten runtergeladen und die halbe Nacht damit verbracht, alle Bewegungen anzusehen. Nichts. Wie gesagt, nur kleine Ein- und Auszahlungen, nur in elektronische Ausrüstung haben sie ein Vermögen investiert, aber das meiste von der ursprünglich eingezahlten Million.«
Leah schloss die Augen. Sie hatte es so gehofft. Wer auch immer die SeaSpirit-Bewegung torpedieren wollte, es gab keine Grundlage dafür.
»Geoffrey hat mir gesagt, ich soll da ruhig noch ein bisschen Zeit reinhängen, also klinke ich mich noch mal ein. Aber ich wollte dir auf jeden Fall sagen, dass das Konto koscher ist.«
Die beiden verabschiedeten sich, und Leah steckte das Handy weg. Sie hätte die Welt umarmen können. Alle Anschuldigungen waren offensichtlich falsch. Und David doch kein Schurke.
A ls Leah zurück an Deck kam, hielt sie zwei Tassen Kaffee in der Hand. Eine reichte sie David.
»Hat er sich bewegt?«
Er schüttelte den Kopf. Wie schon in der Nacht zuvor saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander.
»Wie lange kann so ein Zustand andauern?«, unterbrach Leah Davids Gedanken.
»Meistens nicht sehr
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