Lied des Schicksals
führte Meggan sie in ein Geschäft, in dem es Ständer voller Konfektionskleider gab, die junge Mädchen am Abend tragen konnten. Louisa und Etty sahen sie gespannt durch und verglichen ein Kleid mit dem anderen.
»Ich wünschte, ich könnte ständig in Melbourne leben«, erklärte Etty. »Alles ist so lebhaft und aufregend, und die Geschäfte sind einfach wundervoll. Würdest du nicht auch gerne hier wohnen, Louisa?«
»Nein, ich glaube, das würde mir überhaupt nicht gefallen. Hier ist viel zu viel Lärm und Betrieb. Da ist mir die Ruhe in Langsdale viel lieber.«
Etty betrachtete sie leicht spöttisch. »Der Lärm und der Betrieb machen das hier doch gerade so aufregend. Du musst aber doch zugeben, dass dir das Einkaufen und die Parks und Theater genauso viel Spaà gemacht haben wie mir.«
»Natürlich hat mir das alles Spaà gemacht. Ich würde gern einmal im Jahr nach Melbourne in Ferien fahren. Aber ich möchte nicht hier leben. Und das würdest du auch nicht, Etty, denn wenn du hier wohnen würdest, würdest du nicht jeden Tag in den Park oder ins Theater gehen. Deine Eltern machen das nur mit uns, weil wir Ferien haben und es so viele besondere Dinge zu tun gibt, weil der Prinz zu Besuch ist.«
»Melbourne wäre auch sonst viel aufregender als Langsdale.«
Davon war Louisa nicht überzeugt. »Du würdest uns alle schon bald vermissen.«
Etty antwortete Louisa mit einem Schulterzucken und zeigte ihrer Mutter ein sehr elegantes Satinkleid mit Spitze, das auf dem Ständer hing.
»Meinst du, dass mir diese Farbe stehen würde, Mama?«
»Nein, Liebes, dieser Rosaton ist viel zu matt für dich, aber dir, Louisa, würde diese Farbe bestimmt sehr gut stehen. Probier das Kleid doch mal an, Liebes.«
»Ach nein, Tante Meggan. So ein Kleid könnte ich doch nirgends tragen.«
»Das kann Etty auch nicht, auÃer heute Abend in die Oper. Zieh es doch einfach mal an, Louisa, nur zum SpaÃ. Wenn dir die Farbe so gut steht, wie ich glaube, finden wir vielleicht ein einfacheres Kleid aus dem gleichen Material.«
»Welches soll ich denn anprobieren?«, fragte Etty und betrachtete sinnend ein hellgrünes Kleid mit violettem Besatz.
Ihre Mutter wählte ein anderes aus. »Das hier. Blau steht dir gut, und der Schnitt ist nicht zu extravagant.«
Das rosa Kleid passte Louisa perfekt, sodass Meggan darauf bestand, es ihr zu kaufen. Louisas Einwände, dass sie das Kleid nirgends tragen könne, klangen nur noch wenig überzeugend. Von dem Moment an, als sie sich im Spiegel gesehen hatte, hatte sie das Kleid haben wollen. Noch nie im Leben hatte sie ein so schönes Kleidungsstück besessen. Allerdings konnte sie sich keine Zukunft vorstellen, in der sie selbst etwas anderes als Alltagskleidung brauchen würde.
Beide Mädchen waren begeistert über ihr Aussehen, als sie die Kleider anprobierten. Obwohl Ettys Kleid nicht so »erwachsen« war, wie sie sich das gewünscht hatte, hatte es genug Rüschen und Spitze, um sie glücklich zu machen. Sie wusste, dass sie entzückend aussah. Für einen kurzen Moment wünschte sie, Darcy könnte sie so fein angezogen sehen.
»Ich werde die hübscheste junge Dame im Theater sein«, erklärte sie Louisa, die freundlich zustimmte.
Die ersten bewundernden Blicke erhielten die jungen Mädchen von Leuten, die vor dem Theater standen, weil sie hofften, eine bekannte Persönlichkeit zu erspähen. Auch wenn Etty überzeugt war, dass sie sehr hübsch aussah, war ihr nicht bewusst, was für einen perfekten Kontrast sie und Louisa abgaben. Meggan und Con hingegen erkannten sofort, dass die Mädchen durch den Kontrast jeweils noch hübscher wirkten. Ihre schwarzhaarige Tochter Etty spektakulär in Blau, während die blonde Louisa in ihrem rosa Kleid eine zarte Schönheit ausstrahlte. Selbst nachdem sie ihre Plätze eingenommen hatten, zogen sie noch die Aufmerksamkeit mancher Besucher auf sich, bis das Licht im Theatersaal verlosch.
Dieser Abend war der Höhepunkt in Ettys bisherigem Leben. Von dem Moment an, als die ersten Klänge der Oper das Theater erfüllten, bis der letzte Ton verklungen war, war Etty hingerissen. Sie klatschte so begeistert, dass ihr die Hände wehtaten. Selbst nachdem sich der Vorhang zum letzten Mal vor den Darstellern geschlossen hatte, gehörte sie zu den wenigen, die
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