Lied des Schicksals
immer noch klatschten. Als der Applaus dann endgültig erstarb, sah Etty ihre Mutter mit leuchtenden Augen an. Ihre belegte Stimme verriet, wie stark die Gefühle waren, die sie zu überwältigen drohten.
»Oh, Mama, ich muss einfach Opernsängerin werden. Ich spüre ganz deutlich, dass ich dort hingehöre, dort auf die Bühne.« Sie bemerkte, wie die Augen ihrer Mutter feucht wurden, und befürchtete schon, dass sie getadelt würde. »Was ist los, Mama?«
Mit einem wehmütigen Lächeln drückte ihre Mutter ihr die Hand. »Gar nichts, mein Liebes.«
»Ich dachte schon, meine Worte wären zu â¦Â«
»Leidenschaftlich? Nein, mein Liebling. Ich hatte einmal denselben Traum. Ich kann verstehen, wie du dich fühlst. Und da du dir so sicher bist, dass du das willst, werde ich dir die beste Gesangslehrerin in Melbourne besorgen.«
Etty schlang ihrer Mutter die Arme um den Hals. In diesem Augenblick war sie das glücklichste Mädchen auf der ganzen Welt. »Danke, Mama.«
Als sie wieder auf Langsdale waren, ging Etty sofort zu Darcy, um ihm zu erzählen, dass sie Opernsängerin werden würde.
Das beeindruckte Darcy nicht. »Wozu soll das gut sein? Ich weià nichts über Opern, hab keine Ahnung, was das überhaupt ist.«
»Opern sind so ähnlich wie Theaterstücke, bloà dass die Worte gesungen und nicht gesprochen werden. Dazu gibt es ganz wunderbare Musik und schöne Kostüme.« Während sie sprach, erlebte sie in Gedanken die Oper, die sie gesehen hatte, noch einmal und merkte gar nicht, dass ihr Gesicht einen völlig entrückten Ausdruck angenommen hatte.
Darcy betrachtete sie. »Du willst das offenbar wirklich. Du bist jetzt mit deinen Gedanken überhaupt nicht bei mir.«
Etty blinzelte und zwang sich, sich auf Darcy zu konzentrieren. »Ja, ich will unbedingt Opernsängerin werden«, sagte sie voller Leidenschaft. »Ich glaube, das ist mein Schicksal.«
»Schicksal ist das, was man aus seinem Leben macht, Etty.«
Etty blickte Darcy böse an. »Das ist nicht wahr. Unser Lebensweg ist uns vorherbestimmt.«
»So? Dann ist es mir wohl vorherbestimmt, mein Leben lang die Schafe eines anderen zu hüten. Das werde ich nicht tun.«
Etty war zu sehr mit ihren eigenen Träumen beschäftigt, um auf Darcys Worte zu achten. »Du hättest mit uns nach Melbourne kommen sollen. Dort war alles so aufregend. Dann hättest du mich auch in meinem schönen neuen Kleid gesehen. Es ist das schönste Kleid, das ich je hatte. Ich wünschte, du hättest mich gesehen, wie ich so fein gemacht war.«
»Ich mag dich so, wie du bist.«
Etty deutete verächtlich auf den schlichten Rock und das einfache Mieder, das sie trug. »Du hast ja keine Ahnung, wie sehr Frauen Spitzen und Bänder lieben. Eines Tages wirst du mich in einem richtig schönen Kleid sehen.«
»Das ist mir nicht wichtig, aber wenn du Schmuck haben willst â¦Â« Er bückte sich, pflückte eine blaue Wildblume und steckte sie ihr ins Haar. »Das ist Schmuck genug.«
Ãberrascht stellte Etty fest, dass sie ein leichtes Beben durchfuhr. Darcy hatte sie im Laufe der Jahre viele, viele Male berührt, hatte ihre Hand gehalten, einen Arm um ihre Schultern gelegt, sie in den Arm genommen, wenn sie getröstet werden musste. Aber noch nie hatte sie seine Berührung so gespürt wie jetzt. Lachend lieà er seine Hände sinken, doch das Lachen verstummte, als sich ihre Blicke begegneten. Sie betrachteten sich plötzlich mit völlig anderen Augen.
Darcy wandte sich als Erster ab. »Sieh mich nicht so an, Etty.«
Sie biss sich auf die Unterlippe und wollte, dass die kleinen Schmetterlinge in ihrem Bauch aufhörten zu flattern.
»Wie soll ich dich nicht ansehen?«
»Das weiÃt du doch.«
Ja, sie wusste es. »Entschuldige.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Lass uns einfach Freunde sein. Okay?«
»Wir mögen uns mehr, als wenn wir nur Freunde wären.«
Dem stimmte er weder zu, noch widersprach er. »Du bist zu jung, um zu wissen, was du willst, Etty.«
»Ich bin zwei Monate älter als du. Soll das heiÃen, dass du auch nicht weiÃt, was du willst?«
»Ich weiÃ, was ich will«, erwiderte er. »Und ich weià auch, dass ich viel mehr ein Mann bin als du eine Frau.«
»Vielleicht bin ich schon mehr Frau, als dir
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