Lied des Schicksals
ähnlicher«, korrigierte seine Mutter. »Obwohl du vom Charakter her mehr Onkel Tommy ähnelst.«
Meggan hoffte inständig, dass es im Leben ihres Sohnes keine herzzerreiÃenden Leidenschaften oder Tragödien geben würde. Ihr jüngster Bruder Tommy war der Einzige von den Collins-Geschwistern, bei dem alles ganz normal gelaufen war. Er hatte sich verliebt, geheiratet und sich eine berufliche Existenz aufgebaut, die ihn zufriedenstellte. Auch wenn Hals Leben nicht so sehr von Tragödien und Schicksalsschlägen bestimmt gewesen war wie das von Will, war es dennoch nicht ohne dramatische Ereignisse verlaufen. Und das galt auch für ihr eigenes Leben.
Meggan Trevannick blickte zu Ruan hinüber, der sich neben seine Schwester gesetzt hatte. Wie unterschiedlich ihre beiden Kinder doch waren. Etty hatte vom Tag ihrer Geburt an mit ihren schwarzen Haaren und dunklen Augen wie ihr Vater ausgesehen. Und ganz früh hatte es schon Anzeichen dafür gegeben, zu was für einer Schönheit sie sich entwickeln würde. AuÃerdem schlummerte in ihr eine tiefe Leidenschaft, eine Leidenschaft, die Meggan nur zu gut verstand. Ettys Leben würde ganz sicher turbulent verlaufen. Sie konnte nur hoffen, dass ihrer Tochter unerträglicher Kummer erspart bliebe.
An dem Sonntagmorgen, an dem der Prinz ankommen sollte, waren sie alle lange vor Tagesanbruch auf, um die kurze Strecke nach Sandridge zurückzulegen. Zusammen mit Tausenden von Menschen, die ebenfalls unbedingt den Prinzen sehen wollten, nahmen sie Platz auf eigens für den Anlass errichteten Zuschauertribünen. Hunderte von Händen zeigten aufgeregt zu der Stelle in der Hobson Bay, an der das königliche Schiff, die HMS Galatea , umgeben von einer Flotte von Dreimastern vor Anker lag. Die Landebrücke, die in die Bucht hineinragte, war auf beiden Seiten von Fahnen gesäumt. Auf der Strandseite hatte man über der Landebrücke einen mit grünen Zweigen und Blumen geschmückten Pavillon errichtet, dessen Dach eine Krone zierte. Die offizielle Abordnung, die den königlichen Besucher willkommen heiÃen sollte, stand ganz in der Nähe unter einer Segeltuchmarkise. Das waren die Einzigen, die in den Genuss von ein wenig Schatten kamen. Die groÃe Masse verging fast in der Novemberhitze, die bis zum Mittag immer mehr zunahm. Um zwölf Uhr sollte der Prinz an Land gehen.
Die allgemeine Aufregung war bereits von dem Moment an spürbar gewesen, als die Trevannicks samt Louisa und Agnes aus ihrem Hotel traten. Zahlreiche Menschen, die teils schon vor Tagesanbruch in der Stadt angekommen waren, drängten sich in den StraÃen, durch die der Prinz kommen würde. Alle versuchten sich mit Rempeln und StoÃen einen guten Platz zu sichern.
In Sandridge machten fliegende Händler einträgliche Geschäfte mit dem Verkauf von Speisen und kalten Getränken an die wartenden Zuschauer. Auch wenn ein wahrer Wald von Sonnenschirmen in die Höhe ragte, machte das lange Warten in der Sommersonne durstig. Doch nur wenige Leute jammerten. Was bedeuteten schon ein paar Unbequemlichkeiten verglichen mit der Gelegenheit, den zweitältesten Sohn der Königin höchstpersönlich sehen zu können?
Kurz vor Mittag erschien Prinz Alfred an Deck der Galatea . Obwohl er nur für die wenigen zu erkennen war, die das Glück hatten, ein Fernglas zu besitzen, brach sofort groÃer Jubel aus. Etty und Louisa, die sich an den Händen hielten, jubelten lauter als die Erwachsenen, dann grinsten sie sich an und begannen, über ihre eigene Begeisterung zu kichern. Als sich das königliche Boot zum Strand in Bewegung setzte und zwölf Böllerschüsse ertönten, hielten sich die beiden Mädchen wie auch viele andere Zuschauer die Ohren zu.
Das ausgelassene Geplauder ging in ehrfurchtsvolles Schweigen über, als die offene königliche Kutsche von der Landebrücke rollte. Die BegrüÃung des Prinzen in Sandridge dauerte nicht lange. Der offizielle Empfang mit der BegrüÃungsrede des Bürgermeisters von Melbourne würde in Emerald Hill stattfinden, wo die Stadtväter unter einer weiteren Markise warteten und wo weitere Tribünen für die Zuschauer errichtet worden waren.
Nachdem die königliche Kutsche den Blicken entschwunden war, mussten die Zuschauer noch lange warten, bis sie endlich die Tribünen verlassen durften. Doch das tat der Begeisterung der getreuen Einwohner
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