Lied des Schicksals
Liebesbeziehung Komplikationen gegeben haben sollte. Doch genau das war der Eindruck, den sie nun bekam. Vielleicht würde sie ihre Mutter eines Tages danach fragen.
Auf diesen Tag brauchte Etty gar nicht zu warten. Noch am selben Abend setzte ihre Mutter sich mit ihr zusammen, um ihr die Geschichte zu erzählen.
»Madame hat häufig eine etwas lockere Zunge. Sie denkt nicht immer nach, bevor sie redet. Deshalb halte ich es für besser, wenn du von mir die Wahrheit erfährst, denn du wirst zweifellos das eine oder andere von Madame hören. Bisher habe ich es nie für notwendig gehalten, dir oder deinem Bruder unsere Geschichte zu erzählen, aber jetzt sollte ich es wohl tun. Ich fürchte nur, Liebes, dass du schockiert sein könntest.«
»Oh, Mama, warum sollte mich etwas schockieren, was du getan hast?« Etty hielt ihre Mutter für die perfekte Frau schlechthin. »Hast du etwas sehr Schlimmes erlebt?«
»Es gab mehr als ein unglückseliges und tragisches Ereignis, das mein Leben geprägt hat. Ich möchte dir allerdings nur von deinem Vater und mir erzählen.«
»Papa und du, ihr habt euch doch so lieb, da muss eure Geschichte einfach sehr romantisch sein. Ich bin schon ganz gespannt darauf.«
Ettys freudige Erwartung löste bei Meggan ein leicht schiefes Lächeln aus, dann begann sie mit ihrer Geschichte.
»Als ich deinen Vater kennenlernte, war ich zwölf Jahre alt. Damals lebten wir noch in Cornwall. Das war, kurz bevor meine ältere Schwester Caroline starb. Danach haben wir uns einige Jahre nicht mehr gesehen. Du weiÃt, dass meine Familie nach Südaustralien ausgewandert war, um in der Kupfermine von Burra zu arbeiten, und dass ich eine Stelle als Kindermädchen auf der Schaffarm der Familie Heilbuth gefunden hatte.
Eines Tages besuchten dein Vater und seine Pflegeschwester Jenny Tremayne die Heilbuths. Dein Vater und ich haben uns ineinander verliebt. Aber ich nahm genau wie alle anderen an, dass er und Jenny heiraten würden. Nachdem die beiden nach Cornwall zurückgekehrt waren, habe ich deshalb geglaubt, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Die Heilbuths hatten einen guten Freund, David Westoby, einen wohlhabenden Mann, der etliche Jahre älter war als ich. Er war seit einiger Zeit ein Verehrer von mir und unterstützte mich sehr in meiner Gesangskarriere. Als David mir einen Heiratsantrag machte, habe ich akzeptiert, weil ich glaubte, dass dein Vater für immer aus meinem Leben verschwunden wäre. David war auch derjenige, der mich mit Madame Marietta bekannt gemacht hat.
David Westoby war ein guter Mensch, und ich lernte, ihn zu lieben, wenn auch auf ganz andere Weise, als ich deinen Vater liebte. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich eines Tages die Tür öffnen und der Mann, den ich wirklich liebte, vor mir stehen würde. Dein Vater hatte Jenny nicht geheiratet. Nachdem er sie wohlbehalten nach Cornwall zurückgebracht hatte, war er wieder nach Australien zurückgekehrt, um mich zu bitten, seine Frau zu werden. Wir litten beide groÃe Qualen, weil ich nicht genug an ihn geglaubt hatte, um auf seine Rückkehr zu warten.«
»Und was ist dann passiert?«, fragte Etty, denn ihre Mutter hatte, offenbar in Erinnerungen versunken, aufgehört zu reden.
Meggan sah ihre Tochter an, um an ihrem Gesichtsausdruck abzulesen, wie sie wohl auf das Folgende reagieren würde.
»Wir waren beide nicht stark genug, um unsere Liebe zu verleugnen. David war damals auf Geschäftsreise. Wir nutzten die Gelegenheit und verbrachten zwei kurze glückliche Wochen miteinander, bevor dein Vater wieder abreiste. Du warst das Ergebnis dieser heimlichen Stunden.«
Meggan hielt inne und musterte ihre Tochter forschend. Vielleicht hätte sie Etty etwas behutsamer auf dieses Geständnis vorbereiten sollen. Bis zu dem heutigen Gespräch in Madames Cottage hätte sie nie gedacht, dass abgesehen von Con, ihr selbst sowie Jane irgendwer jemals etwas von dieser verbotenen Liebesaffäre erfahren müsse.
»Meine liebe Tochter, ich erzähle dir diese Geschichte, weil du weiÃt, wie sehr dein Vater und ich uns lieben. Ich hoffe, dass du mich nicht verurteilst.«
»Ich könnte dich niemals verurteilen, Mama«, erklärte Etty inbrünstig, »doch eines verstehe ich nicht so ganz. Wie konntest du denn Papa heiraten, wenn du bereits verheiratet warst? Hast du dich von deinem ersten Mann
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