Lied des Schicksals
scheiden lassen?«
»Nein, mein Liebes, ich wollte nichts tun, was den guten David verletzen würde. Mich quälte das Wissen, dass ich ein Kind erwartete, das nicht von ihm sein konnte. Doch bevor er erfuhr, dass ich ihn betrogen hatte, ist er unter tragischen Umständen gestorben. Wieder glaubte ich, dass dein Vater endgültig aus meinem Leben verschwunden war. Ich nahm an, er wäre nach Cornwall zurückgekehrt und hätte Jenny Tremayne doch noch geheiratet, da ich deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft geben könne.
Während dieser Monate voller Trauer und Schuldbewusstsein trat Jane in mein Leben. Wir zogen gemeinsam zu den Heilbuths. Sowohl du als auch Darcy kamen auf Grasslands zur Welt. An dem Tag, an dem du geboren wurdest, kam mein Vater bei einem Grubenunglück ums Leben. Meine Brüder suchten zu der Zeit bereits in Ballarat nach Gold.
Als du ein paar Monate alt warst, habe ich meine verwitwete Mutter, deine GroÃmutter, zurück nach Cornwall gebracht. Sie ist in Australien nie glücklich gewesen und hat sich immer nach der alten Heimat gesehnt. Während ich dort war, kam Jenny uns besuchen. Von ihr erfuhr ich, dass dein Vater in Australien geblieben war, nachdem wir uns getrennt hatten. Ich habe ihm geschrieben. Er hat mir geantwortet. Daraufhin bin ich mit dir und Agnes, die ich als mein Dienstmädchen eingestellt hatte, mit dem Schiff zurück nach Australien gefahren. Nur wenige Tage nach unserem Wiedersehen haben dein Vater und ich geheiratet.«
Ettys Augen hatten einen verträumten Ausdruck angenommen. »Wie romantisch, Mama. Deine Geschichte klingt wie aus einem Roman. Ich bin ja so froh, dass du Papa geheiratet hast. Ich möchte mein Leben nicht anders haben als so, wie es ist.«
»Ich hoffe nur, meine liebe Tochter, dass deinem Glück keine Hindernisse im Weg stehen werden, wenn du dich einmal verliebst.«
Ermuntert durch die vertraulichen Mitteilungen ihrer Mutter, gestand Etty dieser ihr eigenes Geheimnis. »Mama, ich glaube, ich bin in Darcy verliebt.«
Ihre Mutter lächelte. »Ich weià ziemlich genau, was du für Darcy empfindest und er für dich. Ihr wart schon als kleine Kinder viel zusammen. Nun, wo ihr langsam erwachsen werdet, verändern sich eure Gefühle füreinander. Ob ihr euch wahrhaft liebt oder euch diese zärtlichen Gefühle nur einbildet, wird sich noch zeigen.«
»Es macht dir also nichts aus, Mama, dass Darcy ein Aborigine ist?«
»Die Zeit wird es zeigen, mein Liebes. Ihr beide seid gerade erst sechzehn. Darcy ist fest entschlossen, eine gute Schulbildung zu erhalten, und dir ist es ernst damit, Sängerin zu werden. Von nun an wird euer Leben in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Ich glaube, dass diese Liebe, die ihr jetzt füreinander empfindet, für euch irgendwann zu dem wird, was sie eigentlich ist: eine ganz innige Freundschaft.«
Obwohl Etty überzeugt davon war, dass sie niemals aufhören würde, Darcy zu lieben, widersprach sie ihrer Mutter nicht, die mittlerweile das Thema gewechselt hatte und über Ettys weitere Ausbildung redete.
Nachdem sie sich mehrere Einrichtungen angesehen hatten, wurde Etty in Miss Hemingways Akademie für junge Damen angemeldet. Diese wurde von etwa fünfzehn Mädchen im Alter von sechzehn bis achtzehn besucht. Der Lehrplan umfasste alles, was eine junge Dame lernen musste, um später ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen zu können.
Es gab Benimmstunden, Musikstunden, Gesangsunterricht â von dem Etty befreit war, weil ihre Stimme viel besser als die der Musiklehrerin war â und Tanzstunden. Französischunterricht gehörte ebenfalls zum Lehrplan. Daran nahm Etty mit deutlich gröÃerem Eifer teil als ihre Mitschülerinnen.
»Was hat es denn für einen Sinn, Französisch zu lernen?«, beklagte sich ein Mädchen. »Wir leben doch in Australien und werden höchstwahrscheinlich niemals Frankreich besuchen?«
»Ich werde nach Frankreich reisen«, antwortete Etty, »und in viele Länder mehr, wenn ich erst eine berühmte Sängerin bin.«
»Vielleicht wirst du ja gar nicht berühmt«, erwiderte ein anderes Mädchen.
Etty lächelte nur und schwieg. Ihre Mitschülerinnen wussten nicht, dass sie auÃerdem Italienischstunden nahm, und zwar bei demselben Lehrer, der auch ihre Mutter unterrichtet hatte.
Der
Weitere Kostenlose Bücher